Erneutes Referendum Schottlands Wirtschaft: Bereit für die Unabhängigkeit?
Edinburgh (dpa) - Schon beim Anflug auf Schottlands Hauptstadt Edinburgh sticht ins Auge, was die Stärke - und die Schwäche - der schottischen Wirtschaft ausmacht. Vor der Felsenküste ragen Ölplattformen aus dem Meer.
Seit den 70er Jahren sind Öl und Gas aus der Nordsee ein Wirtschaftsfaktor im Norden Großbritanniens. Die Einnahmen daraus waren ein gewichtiges Argument im Wahlkampf vor dem Referendum über eine Unabhängigkeit Schottlands im Jahr 2014. Doch die Schotten entschieden sich mit einer Mehrheit von 55 Prozent für einen Verbleib im Vereinigten Königreich, auch wegen der ungewissen ökonomischen Zukunft des Landesteils.
Seitdem hat sich der Ölpreis etwa halbiert. Die Einnahmen des Fiskus durch die Ölindustrie sind um zwei Drittel gesunken. Am Öl hängen noch viele andere Branchen, wie das Hotelgewerbe und die Gastronomie. Trotzdem will es die schottische Regierung noch einmal wissen. Am Montag kündigte Regierungschefin Nicola Sturgeon ein erneutes Referendum über die Unabhängigkeit von Großbritannien an. Grund ist der bittere Streit mit der Regierung in London über den Brexit-Kurs. London will raus aus dem Europäischen Binnenmarkt - die Schotten wollen weiterhin daran teilnehmen.
Doch kann Schottland überhaupt ohne die Wirtschaftskraft Englands bestehen? Würde sich das Land nicht massiv selbst schaden? Immerhin gehen ungefähr zwei Drittel aller schottischen Exporte in den Rest des Vereinigten Königreichs. „Die Ausgangssituation ist sicherlich schlechter als 2014“, sagt Graeme Roy, der Direktor des renommierten Wirtschaftsforschungsinstituts Fraser of Allander in Glasgow der Deutschen Presse-Agentur.
Und gibt es noch ein weiteres Sorgenkind. Die schottische Finanzindustrie ist seit der Krise 2008 nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die teilverstaatlichte Royal Bank of Scotland will nicht so recht auf die Beine kommen. Kürzlich gab sie das neunte Verlustjahr in Folge bekannt. Die Dienstleistungsbranche macht zwei Drittel der schottischen Wirtschaft aus.
Auch die großen Kennziffern sprechen nicht dafür, dass Schottland ohne den Rest des Vereinigten Königreichs besser dasteht. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im vergangenen Jahr ungefähr nur ein Drittel des landesweiten Niveaus. Auch die Arbeitslosigkeit liegt in Schottland mit knapp unter fünf Prozent etwas höher als im Durchschnitt des Landes. Gleichzeitig sind die Staatsausgaben in Schottland höher. Schätzungen zufolge würde ein unabhängiges Schottland mit einem Haushaltsloch von 15 Milliarden Britischen Pfund (umgerechnet knapp 18 Milliarden Euro) dastehen - das wären fast zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Der Wirtschaftswissenschaftler Roy geht daher davon aus, dass Schottland im Falle einer Unabhängigkeit den Gürtel erheblich enger schnallen müsste. „Die schottische Regierung müsste harte Entscheidungen treffen, um mit einem einigermaßen ausgeglichenen Haushalt in die Unabhängigkeit zu starten.“
Die Hoffnungen ruhen darauf, dass es einem unabhängigen Schottland gelingen könnte, Wachstum abseits der Ölindustrie anzukurbeln. Bereiche wie Forschung und Entwicklung, Tourismus und die Lebensmittelindustrie gelten als Hoffnungsträger. Die Whisky-Exporte des Landes erreichten mithilfe des schwachen Pfundkurses einen neuen Höhepunkt und knackten im vergangenen Jahr erstmals die Milliardengrenze. Auch der Tourismus profitierte von dem schwachen Pfundkurs.
Unklar ist aber nach wie vor, welche Währung ein unabhängiges Schottland benutzen würde. Auch Sturgeon umschiffte diese Frage am Montag. Der Euro scheint bei den Schotten nicht beliebt zu sein - und wäre bei einem derart hohen Staatsdefizit nicht einmal theoretisch eine Option. Auch eine eigene Währung überzeugt die wenigsten. Doch ob sich die Regierung in London auf eine Währungsunion mit dem nördlichen Nachbarn einließe, ist ungewiss.
Das alles spricht nicht dafür, dass die Regierung in Edinburgh die Schotten davon überzeugen kann, dass ein unabhängiges Schottland besser dastehen würde. Doch eine Lektion aus dem Brexit-Referendum könnte sein, dass am Ende die wirtschaftlichen Aussichten gar nicht die ausschlaggebende Rolle spielen. Die Briten entschieden sich im vergangenen Jahr für den Brexit, obwohl ökonomisch alles gegen die Scheidung von der EU sprach. „Ich denke das wird alles eher eine politische Entscheidung sein, als eine wirtschaftliche“, sagt Roy.