Oettinger steigt auf Schwabe wird EU-Haushaltskommissar

Brüssel/Berlin (dpa) - Nicht nur die berühmte „schwäbische Hausfrau“ kann mit Geld umgehen, auch Günther Oettinger wird das nachgesagt. Bevor der CDU-Politiker nach Brüssel ging, galt er in seiner Zeit als Ministerpräsident in Stuttgart schon als Sparkommissar.

Denn ihm gelang 2008 etwas, wofür ihn der Bund und viele andere Länder damals beneideten: Nach 36 Jahren schaffte er in Baden-Württemberg erstmals die schwarze Null im Haushalt.

Doch wegen diverser Pleiten, Pech und Pannen wurde der Finanz- und Wirtschaftsexperte 2011 weggelobt - auf den Posten des EU-Energiekommissars. Nach der Etappe Digitales soll Oettinger nun oberster Haushälter der Kommission werden.

Der Rechtsanwalt wurde immer wieder als „schwäbische Kalaschnikow“ verulkt, weil er in seinem Idiom Sprüche am Fließband produziert. Allerdings schießt er dabei öfter über das Ziel hinaus. Beispiel gefällig? Bei einer Podiumsdiskussion Anfang des Jahres sagt er über die AfD-Chefin: „Wenn die komische Petry meine Frau wäre, würde ich mich heute Nacht noch erschießen.“ Im Internet erntet Oettinger prompt einen Shitstorm.

Zuweilen spricht er aber auch mit krassen Worten aus, was andere nur denken: Der damalige britische Premier David Cameron habe vor dem Brexit-Votum eine „Scheiß-Kampagne“ gefahren, entfährt es dem Kommissar ganz undiplomatisch.

Oettinger hat sich in den Jahren als Energiekommissar in Brüssel Achtung verschafft. In Brüssel wie auch in Deutschland ist er auf abendlichen Empfängen aus Politik und Wirtschaft ein gefragter Redner - quasi als Kommissar Klartext. Dabei war der Vater eines Sohnes zu Beginn noch verspottet worden: In Brüssel fiel er zunächst durch eigenwilliges Englisch auf („In my homeland Baden-Württemberg we are all sitting in one boat“).

Der Wechsel auf das Portfolio Digitalwirtschaft galt 2014 als Abstieg. Besonders weil er nicht gerade ein „digital native“ ist, also ein Ureinwohner der digitalen Welt. Trotzdem arbeitete er sich tief ein in das eher ungewohnte Feld. Vor kurzem legte er einen Vorschlag für ein EU-Leistungsschutzrecht vor, das vor allem die Position der europäischen Verlage gegenüber den Googles dieser Welt stärken soll.

Zuletzt musste er aber die weiße Fahne hissen. Nach einem öffentlichen Aufschrei kassierte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker seinen Vorschlag zur Teil-Abschaffung der Roaming-Gebühren ein. Denn eigentlich sollten die Extra-Gebühren für das mobile Telefonieren, Surfen und SMS-Schicken im EU-Ausland ganz abgeschafft werden.

Trotzdem ist Oettinger neben EU-Parlamentspräsident Martin Schulz der wichtigste Deutsche in Brüssel - und wer weiß, wie lange Schulz noch auf seinem Posten bleiben kann. Oettingers Verhältnis zu CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel gilt als durchwachsen, sie hat ihn schließlich damals nach Brüssel geschickt. Allerdings hatte Oettinger zuvor ein dürftiges Bundestagswahlergebnis eingefahren. Und dann war da noch die Affäre, die Oettinger am liebsten aus seinem Lebenslauf streichen würde: Er hatte den einstigen NS-Marinerichter, Ex-Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU), in einer Trauerrede zum Nazigegner erklärt.

Nun also Haushaltskommissar: In Berlin ist sein Engagement als Co-Chef der Föderalismuskommission II in Erinnerung. Kaum jemand hatte ihm und SPD-Fraktionschef Peter Struck damals etwas zugetraut, doch sie schafften es, die Schuldenbremse im Grundgesetz zu verankern. Was manchmal in der Bilanz des Haushaltsexperten vergessen wird: Ausgerechnet er musste kurz vor seinem Abschied aus Baden-Württemberg Rekordschulden aufnehmen: Im Doppeletat 2010/2011 standen 4,5 Milliarden Euro neue Kredite.