Sechs EHEC-Todesfälle bestätigt

Berlin (dpa) - Die Zahl bestätigter EHEC-Todesfälle in Deutschland hat sich am Freitag auf sechs verdoppelt. Mehrere Menschen schwebten weiter in Lebensgefahr, zudem erkrankten binnen eines Tages bundesweit weitere 60 Patienten an der schweren Komplikation HUS - so viele wie sonst binnen eines Jahres.

„Wir müssen aufgrund der steigenden Zahlen immer noch von einem dynamischen Geschehen ausgehen“, hieß es aus dem niedersächsischen Gesundheitsministerium in Hannover. Unterdessen schlossen spanische Behörden nach Auskunft der EU-Kommission vorübergehend zwei Betriebe in Almeria und Malaga. Sie sollen für die Verbreitung der mit den gefährlichen EHEC-Keimen befallenen Gurken in Deutschland verantwortlich sein, teilte die Kommission am Freitagabend in Brüssel mit. Die Namen der Betriebe nannte die Kommission nicht. Boden-, Wasser und Produktproben seien genommen worden. Die Untersuchungen dauerten an. Zudem werde eine weitere mögliche Quelle - Gurken aus den Niederlanden oder aus Dänemark - untersucht.

Die Suche nach dem Ursprung des schlimmsten bisher in Deutschland registrierten EHEC-Ausbruchs ging weiter. Für viele Landwirte im Norden Deutschlands wird das Ergebnis in jedem Fall zu spät kommen: Sie sind gezwungen, tonnenweise Gemüse wegzuwerfen - kaum jemand mag es noch kaufen.

Von einer EHEC-Epidemie wollte man beim Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin noch nicht sprechen. Der Ausbruch sei noch zu regional und dauere nicht lange genug an, sagte eine Sprecherin. Bislang wurden - binnen etwa einer Woche - insgesamt rund 1000 bestätigte und EHEC-Verdachtsfälle registriert. Normalerweise werden in Deutschland im gesamten Jahr etwa 900 Infektionen mit den Bakterien gemeldet.

Erstmals beim aktuellen Ausbruch starb ein Mann an den EHEC-Folgen. Bei dem tot in seiner Hamburger Wohnung gefundenen 38-Jährigen wurde eine erste Probe positiv auf EHEC getestet. Der Mann war leblos von der Feuerwehr entdeckt worden, nachdem sein Arbeitgeber ihn als vermisst gemeldet hatte. In einem Bremer Krankenhaus starb eine über 70 Jahre alte Frau aus Cuxhaven. Zudem ließ sich der Tod einer 41-Jährigen auf EHEC zurückführen; sie stammte ebenfalls aus Cuxhaven.

Zuvor waren drei Todesfälle in Schleswig-Holstein, Bremen und Niedersachsen erfasst worden. Krankheitsfälle gibt es auch im Ausland: Schweden hat bisher 25 nachgewiesene EHEC-Erkrankungen, Dänemark sieben, Großbritannien drei, Österreich zwei und die Niederlande eine.

Aus Spanien und den Niederlanden wurde unterdessen heftige Kritik an den Veröffentlichungen deutscher Behörden zu EHEC-Quellen laut. Man habe bei der Europäischen Union (EU) eine Beschwerde gegen die deutschen Berichte eingelegt, teilte das Madrider Agrarministerium mit. Deutschland habe gegen EU-Regeln verstoßen, sagte der Staatssekretär Josep Puxeu. Die Behörden hätten zuerst die Presse unterrichtet und nicht - wie vorgeschrieben - die Instanzen der EU. Dadurch drohten der spanischen Landwirtschaft große Verluste.

Das Hamburger Hygiene-Institut hatte den Durchfall-Erreger bei vier Salatgurken vom Hamburger Großmarkt nachgewiesen. Drei seien spanischen, eine niederländischen Ursprungs, hieß es. Die Niederlande wiesen dies als unzutreffend zurück. „Wir haben bislang keinerlei derartigen Erkenntnisse“, sagte Marian Bestelink, Sprecherin der zuständigen Behörde für Warenprüfung (VWA). Die Angabe über die mit EHEC-Bakterien verunreinigte Gurke aus Holland beruhe „vermutlich auf einem Missverständnis“. Sie gehe wohl darauf zurück, dass einer der in Spanien betroffenen Gemüsebauern Niederländer sei.

Einer der betroffenen Erzeuger in Spanien, Frunet Bio in Algarrobo (Málaga), setzte sich gegen den Verdacht zur Wehr, EHEC-verseuchte Gurken ausgeliefert zu haben. Er äußerte den Verdacht, seine Gurken seien beim Sturz einer Palette während des Transports zum Hamburger Großmarkt verunreinigt worden - und nicht schon auf seinem Hof. Der Hamburger Gemüsehändler Uwe Behncken erklärte, die fragliche Palette mit 180 Kisten Gurken sei auf einem Lastwagen gegen die Bordwand gerutscht. Die Gurken hätten keinen Kontakt mit dem Boden gehabt, es seien nur 14 Kisten beschädigt und damit unverkäuflich geworden.

Auch mehrere deutsche Fachleute hielten die Sturz-Theorie für Unfug. „Dass die belasteten Gurken von einer einzigen Palette stammten, die durch ein Umkippen verseucht wurde, können wir aufgrund der Probenentnahme an unterschiedlichen Stellen ausschließen“, teilte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) mit. „Auch kann Ware von einer einzigen Palette unmöglich zu EHEC-Primär- Infektionen mit diesem Ausmaß führen.“

Die Sorge vieler Menschen, sich über Rohkost mit EHEC anzustecken, macht den Gemüsebauern vor allem in Norddeutschland zu schaffen. Sie werfen mittlerweile tonnenweise Salatköpfe, Tomaten und Gurken auf den Müll. „Allein in Niedersachsen haben fünf Großabnehmer im Einzelhandel ihre Gemüsebestellungen storniert“, sagte Axel Boese von der Fachgruppe Gemüsebau Norddeutschland in Bremen. Auch andere Erzeugergemeinschaften meldeten Absatzeinbrüche.

Die weitaus meisten EHEC-Fälle gibt es derzeit in Hamburg, dort erreichten die Kliniken die Kapazitätsgrenze bei der Versorgung der Patienten. „Es ist offensichtlich, dass wir auf Versorgungskapazitäten in anderen Bundesländern, wie zum Beispiel in Hannover, zurückgreifen müssen, um die Versorgung von Neufällen auch am Wochenende zu gewährleisten“, erklärte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD).

„Für mich ist diese EHEC-Welle viel ernster als die Schweinegrippe“, sagte Reinhard Brunkhorst, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. Vor allem gesundheitsbewusste Frauen seien betroffen. „Es ist absolut schockierend, wenn man eine Patientin Anfang 30 hat, die kaum noch sprechen kann und Krampfanfälle hat.“

Mehrere Infizierte bundesweit sind so schwer erkrankt, dass weitere Todesfälle nicht auszuschließen waren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) riet zwar nicht von Reisen nach Deutschland ab, mahnte aber zu Vorsichtsmaßnahmen. Dazu zähle etwa gründliches Händewaschen.

EHEC-Keime sind eine besonders gefährliche Form des Darmbakteriums Escherichia coli. Der Erreger ist vor allem deshalb gefährlich, weil nach Expertenangaben rund 10 bis 100 der winzigen Bakterien ausreichen, um den Durchfall auszulösen. Bei anderen Infektionen sind um ein Vielfaches mehr Erreger nötig, damit es zur Erkrankung kommt. Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist eine schwere EHEC- Verlaufsform, bei der giftige Stoffwechselprodukte des Bakteriums zu Nierenschäden führen können.