Es wird ernst mit dem Austritt Startschuss für den Brexit: „Wir vermissen euch jetzt schon“

London/Brüssel (dpa) - Union Jack und Europaflagge hängen friedlich nebeneinander, als EU-Ratspräsident Donald Tusk am Mittwoch in Brüssel den sechsseitigen Brexit-Brief aus der Hand des britischen EU-Botschafters Tim Barrow entgegennahm.

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„Es gibt keinen Grund so zu tun, als wäre dies ein glücklicher Tag“, sagte Tusk wenig später und gab den Briten schon einen wehmütigen Abschiedsgruß mit auf den Weg: „Was kann ich noch sagen? Wir vermissen euch jetzt schon. Danke und goodbye!“

Es wird ernst mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Schon vor gut neun Monaten stimmte beim britischen Referendum eine knappe Mehrheit dafür, jetzt folgte Premierministerin Theresa May dem Wählerwillen.

Mit dem offiziellen Trennungsgesuch tickt nun die Uhr: Zwei Jahre Zeit haben London und Brüssel, sich gütlich zu einigen und eine irgendwie geartete künftige Partnerschaft anzulegen. Beide Seiten beteuerten am Mittwoch ihren guten Willen. Doch es werden zwei harte Verhandlungsjahre.

Die Unterhändler stehen vor einem Wust von knapp 21 000 EU-Regeln und Gesetzen, die bisher in allen 28 Ländern gelten und damit auch im Vereinigten Königreich. Vor allem aber müssen sie eine Handvoll hochkomplexer Themen lösen, die beide Seiten ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt haben.

Darunter sind die Rechte der EU-Ausländer in Großbritannien und der Briten auf dem Kontinent. Rund 3,2 Millionen leben im Königreich, fast ein Drittel sind Polen. Arbeitserlaubnis und Renten - solch existenziell wichtige Fragen wollen beide Seiten rasch klären. Viele britische Unternehmen fürchten um ihre billigen Arbeitskräfte wie Maurer und Zimmermädchen.

Apropos Geld: Großbritannien könnte von der EU noch eine Rechnung über bis zu 60 Milliarden Euro präsentiert bekommen. Gemeinsam eingegangene Verpflichtungen etwa für den EU-Haushalt müssten von London anteilig beglichen werden, findet Brüssel. May sagte dagegen, im Januar beim Referendum hätten die Briten nicht dafür gestimmt, solche Geldsummen an die EU zu zahlen.

Jetzt deutete sie im Scheidungsbrief zumindest an, dass es eine Paketlösung geben könnte - eine „faire Vereinbarung über die Rechte und Pflichten des Vereinigten Königreichs als ausscheidendes Mitglied“. Allerdings müsse dies gleichzeitig mit den künftigen Beziehungen zwischen beiden Partnern geklärt werden. Die EU-Seite will hingegen eine klare Rangfolge: erst die Trennungsmodalitäten, dann die künftigen Beziehungen, die wohl in einem besonderen Freihandelsabkommen festgeschrieben werden.

Die Drohung mit einem Austritt ohne Einigung wiederholte May jetzt nicht mehr. Vielmehr sprach sie von einem geordneten Prozess und einer „tiefen und besonderen Partnerschaft“. Zumindest in dem Punkt scheinen beide Seiten einig. Denn auch EU-Unterhändler Michel Barnier warnte jüngst vor einem Abschied im Zorn, der die Bürger und Unternehmen ins Ungewisse entließe.

Bis Herbst 2018 soll der Deal fertig sein. Im Frühjahr 2019 wird Großbritannien ausscheiden. So sieht es der Artikel 50 des Vertrages von Lissabon vor. Der liefert zwar den Rahmen, aber keine Details und ist noch nie angewandt worden. Unbekanntes Terrain also. Barnier beschrieb die Linie der EU so: „Wir werden entschieden sein, wir werden freundlich sein, wir werden niemals naiv sein.“

May steht gehörig unter Druck - auch im eigenen Land. In Schottland und in der Ex-Bürgerkriegsregion Nordirland nimmt der Ärger zu. Beide Landesteile stimmten mehrheitlich gegen den Brexit. Als May verkündete, dass sie einen harten Brexit - also auch den Ausstieg aus dem Europäischen Binnenmarkt wolle - war das Maß für die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon voll.

Sie will Schottland zumindest im Europäischen Binnenmarkt halten. Das lehnt May ab. Beide Politikerinnen schalteten auf stur. Die Folge: Das schottische Parlament stimmte am Dienstagabend für eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien.

Auch die meisten Nordiren halten nichts vom Brexit und kämpfen zudem mit einer Regierungskrise im eigenen Landesteil. Vor allem die neue EU-Außengrenze zur Republik Irland, die der Brexit mit sich bringt, könnte laut Konfliktforschern den Frieden bedrohen: Der Handel auf der Insel wird erschwert und eine feste Grenze mit Kontrollen reißt womöglich alte Wunden in der früheren Bürgerkriegsregion auf.

Geschlossenheit wird also ein schwieriges Thema für Großbritannien - aber auch für die 27 bleibenden EU-Länder. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker unkte schon vor Wochen, London könnte mit Einzeldeals und Versprechungen Keile in die Reihen der EU treiben. Seither sprechen sich die EU-Partner Mut zu, dass man ganz bestimmt ganz eng beieinander bleibt. Tusk sagte es am Mittwoch so: „Der Brexit hat uns stärker zusammengeschweißt als früher.“