Spurensuche in Mesquite Stephen Paddock, der stille Amerikaner
Mesquite (dpa) - Es ist wahnsinnig ruhig hier oben. Entfernt klickern Golfbälle, Klimaanlagen summen in der sengenden Hitze. In sandsteinfarbener Verlassenheit lugt Stephen Paddocks Haus von der Spitze des Hügels den Hang hinunter.
Ein gelbes Polizeiband trennt den Kies um das Haus vom Gehweg.
1372 Babbling Brook Court, Mesquite, US-Bundesstaat Nevada: Hier hat der Todesschütze von Las Vegas zuletzt gelebt. „Sehr unauffällig und sehr alleine“, sagen Steve und Sandra Bolin (beide 66) im Wendehammer vor dem Haus. „Der wollte mit keinem was zu tun haben. Der kam und ging, oft war er lange weg.“
Auf weißen Tennissocken steht Paddocks Nachbar zur Rechten in seiner Auffahrt. Seinen Namen will er nicht nennen, es müsse dann mal Ruhe sein, seine Frau könne kaum noch schlafen, seit ein SWAT-Spezialkommando der Polizei in der Nacht zum Montag schlagartig und mit vorgehaltenem Gewehr Paddocks Nachbarschaft aus den Häusern holte. „Ich habe den Typen nie gesehen. Seine Frau ja, ihn nie. Wir haben denen sogar mal was an die Tür gehängt zum Einzug, nie haben die reagiert. Und jetzt sowas. All diese Opfer. Auf so etwas kann man sich doch nicht vorbereiten. Das macht Dich fertig.“
Sun City, das ist eine Art Sahnestück von Mesquite. Ein gediegener Ruhesitz mit Golfplatz mitten in der Wüste. Sprühende Wassertröpfchen der Bewässerung irisieren im Licht. „Eine sehr stille Nachbarschaft“, sagen die Nachbarn. Man lasse sich in Ruhe, frage nicht nach, sehr viele kenne man gar nicht, das sei so hier oben. Am Zebrastreifen der Siedlung hält man für die Golfwägelchen. „Finden Sie neue Freunde, probieren Sie mal was Neues!“ werben Schilder. Es wird gebaut.
Mesquite (gesprochen: Meskeit) liegt bei dichtem Verkehr zwar fast eineinhalb Stunden von Las Vegas entfernt, gilt aber für amerikanische Verhältnisse noch als dessen Vorort. Knapp 20 000 Einwohner, viele Waffenläden, mexikanische Restaurants, ein paar Palmen, ein trockenes Flussbett und so viel weiter Himmel, als stünde man mitten im Meer. Viel mehr ist hier nicht. Arizona ist nicht weit.
Nur fünf Autominuten von Paddocks letztem Wohnsitz hängen an zwei Wänden die Gewehre links und die Gitarren rechts. 170 West Pioneer Boulevard, der kleine Laden „Guns and Guitars“. Hier hat Paddock einige seiner Waffen erworben, das hat Manager Christopher Sullivan der „New York Times“ bestätigt. Alles sei ordnungsgemäß gewesen.
Heute ist der Laden vergittert und bleibt es auch nach mehreren Versuchen. Hinten im Laden winkt jemand ab. Am Telefon wird er später sagen, ganz sicher werde der Laden heute nicht mehr öffnen. Links neben dem Shop eine Versicherung, weiter hinten ein Fitnessstudio, ein Thai Bistro. Dort fragen sich aufgeregte Einheimische über grünem Curry: Und? Wo warst Du, als Du die Nachricht bekamst, dass das einer von hier war?
Stephen Paddock, der stille Amerikaner. Über den man so viel weiß, aber nichts erfährt. 64 Jahre alt, groß gewachsen, auf Fotos eher unrasiert als bärtig, nach Angaben seiner Brüder Millionär, mehrfach umgezogen. Pilotenlizenz, Besitzer zweier Flugzeuge, Ex-Buchhalter beim Rüstungsgiganten Lockheed Martin. Sohn eines Bankräubers, versierter Spieler, selbst eine völlig unauffällige Existenz. US-Medien zitieren seine Familie, all das Geld stamme aus Immobilienverkäufen. Auch in Reno hat Paddock gelebt, interessanterweise auch in Sun City.
„Was hat ihn nur dazu getrieben?“ fragt Teri in einer Autovermietung. „Nichts weiß man. Was ist das mit seiner Frau? Soll er das alles alleine gemacht haben? Mit diesen ganzen Waffen? Und keiner wusste irgendwas? Komm schon.“
Kann Paddocks Freundin zur Aufklärung beitragen, die nach einer Auslandsreise wieder in den USA eingetroffen ist und nun vernommen wird? Der spätere Täter hat im sonnenbeschienenen, gemeinsamen Zuhause in Mesquite ein gewaltiges Arsenal gehortet, er war bis an die Zähne bewaffnet. Und es gibt noch viel mehr Fragen: Warum hat Paddock einen stattlichen Betrag auf die Philippinen überwiesen? Wo und wie hat er diesen Massenmord so akribisch geplant, wie die Ermittler es beschreiben?
Unweit von Paddocks Haus sitzt der gedrungene Flachbau des Eureka Casino auf einer riesigen Freifläche. Hier soll der Mann, der zum Massenmörder wurde, oft und gern gespielt haben. Draußen Weite, drinnen Würfel und ein Bingo-Saal, Lunch-Büffet und die kindlich trällernde Kakophonie der Spielmaschinen. Die Angestellten beantworten keine Fragen zu Paddock.
Zurück in die begrünte Stille von Sun City. „Mein nächster Nachbar, oh mein Gott“, sagt der Mann aus Nummer 1360, streicht sich über die Bartstoppeln. „Wie sollen wir denn jetzt damit umgehen.“
141 Kilometer lang ist die Strecke von Paddocks jetzt verbretterter Garage auf Sun Citys Hügeln zum Tatort der furchtbaren Nacht zum Montag, die schon jetzt in die Geschichte der USA eingegangen ist. Auf dem Freeway flirrt die Hitze, scharf konturierte Berge säumen den Weg. 33 Kilometer vor der gewaltigen Senke von Las Vegas taucht die Skyline der Stadt der Spieler zum ersten Mal auf.
Am rechten Rand ist Donald Trumps Hotel zu erkennen. Am Mittwoch wollte sich der US-Präsident vor Ort in Las Vegas umsehen, „eine sehr traurige Sache, auch für mich persönlich“, sagte er vor dem Abflug in Washington. Ganz links am Rand all der hohen Bauten schimmert weithin und golden im Dunst das Mandalay Bay Resort, von dem aus der Schütze gnadenlos Dutzende friedlich feiernde Menschen ermordete.