Stuttgart-21-Gegner Hermann will Minister bleiben
Stuttgart (dpa) - Wie ein militanter Nichtraucher, der in einer Raucherkneipe bedienen muss - so in etwa muss sich Winfried Hermann fühlen. Der grüne Verkehrsminister im Kabinett von Winfried Kretschmann (Grüne) war Vorkämpfer der Gegner des geplanten Tiefbahnhofs im Herzen Stuttgarts.
Nun, nach dem Misserfolg bei der Volksabstimmung, muss der 59-jährige Parteilinke beim Bau des von ihm verabscheuten Projekts mithelfen. Nein, ein Rücktritt komme für diesen Fall nicht infrage, beteuerte Hermann zuletzt immer wieder. „Ich werde es kritisch und konstruktiv begleiten“, sagte er am Sonntag. Trotzdem ist er ohne Zweifel in der Bredouille: Ein Verkehrsminister, der nicht hinter dem zentralen Infrastrukturprojekt des Landes steht, ist vergleichbar mit einem Agrarminister, der mit den Landwirten nichts zu tun haben will. Bei Hermann klang das so: Es wäre ein „Handicap“, wenn der Ausstieg nicht käme, erklärte er kurz vor Toreschluss.
Vor dem Amtsantritt hörte sich das noch anders an. Am Tag der Vereidigung Kretschmanns als erster grüner Ministerpräsident verkündet sein Parteifreund, er wolle nicht für Stuttgart 21 zuständig sein, sollte es tatsächlich gebaut werden. Etwas später ruderte Hermann zurück und erklärte, er werde sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Der Opposition war das egal. Sie nennt Hermann seither „Verkehrtminister“ und nutzt jede Gelegenheit, um ihn zu attackieren.
Selbst bei den Grünen löst Hermanns damaliges Bekenntnis noch heute heftiges Kopfschütteln aus. Von den S21-Befürwortern bei der SPD um Vize-Regierungschef Nils Schmid und Fraktionschef Claus Schmiedel ganz zu schweigen. Nun, ein halbes Jahr später, hat der 59-jährige Grünen-Politiker seinen Ruf als Reizfigur gefestigt. In den vergangenen Monaten ließ er praktisch nichts unversucht, um die „gigantische Geldverschwendung“ bei Stuttgart 21 zu geißeln. Die SPD schoss jedes Mal zurück.
Hermann war in seiner Zeit als Grünen-Landeschef von 1992 bis 1997 durchaus auf einen Ausgleich der unterschiedlichen Strömungen bedacht. Im Bundestag zeigte der Tübinger Abgeordnete aber bei vielen Gelegenheiten, dass er einen eigenen Kopf hat. So verweigerte der überzeugte Pazifist während der rot-grünen Koalition im Bundestag dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) bei der Vertrauensabstimmung über Auslandseinsätze im November 2001 die Gefolgschaft.
Von 1984 bis 1988 saß Hermann im Landtag. Seit 1998 gehört er dem Bundestag an, zuletzt war er Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Der Vater einer Tochter hat in Tübingen Deutsch, Politik und Sport studiert. Die Lehrer Hermann und Kretschmann kommen gut miteinander aus, auch wenn der Regierungschef ein glasklarer Grünen-Realo ist. Auf die Frage, ob Hermann jetzt nicht zurücktreten müsse, antwortete Kretschmann am Sonntagabend: „Ich wüsste nicht warum.“