Terrorangst bedroht gesellschaftliche Harmonie in Australien
Sydney (dpa) - Die Geiselnahme von Sydney hat die Australier im Mark erschüttert. Ihr Kontinent, fernab aller Krisenherde der Welt, als Zielscheibe eines muslimischen Fanatikers?
Dass ein iranischer Geiselnehmer unter einem schwarzen Banner mit islamischem Glaubensbekenntnis Australier terrorisierte, nährt antimuslimische Vorurteile. „Es gibt Anzeichen, dass antimuslimischer Fanatismus die Harmonie in unserer Gesellschaft vergiftet“, warnte der Anti-Diskriminierungsbeauftragte der Regierung, Tim Soutphommasane, vor kurzem.
Wie viele Muslime leben in Australien und wie tolerant ist das Land?
Rund eine halbe Million Menschen bekennen sich zum Islam, gut zwei Prozent der Bevölkerung. Als Einwanderungsland ist Australien eigentlich weltoffen und tolerant. Sämtliche Religionen sind vertreten, alle Gläubigen können ihre Religion frei ausüben.
Was haben Muslime zu befürchten?
Die Zahl der Übergriffe gegen Muslime steige, warnt Soutphommasane. Eine Muslimin wurde in Melbourne vor kurzem attackiert und aus einem rollenden Zug gestoßen. Unbekannte sprühten antiislamische Slogans an eine Moschee in Sydney, an der Baustelle einer anderen Moschee hing ein Schild mit Totenkopf und dem Slogan „Verbietet Islam“. Muslime fühlten sich eingeschüchtert und bedroht, sagte der Sekretär des islamischen Rates im Bundesstaat Victoria, Ghaith Krayem.
Was ist der Auslöser?
Die Australier sind entsetzt, dass sich Extremisten aus Australien der IS-Terrormiliz anschließen. Nach Schätzungen der Geheimdienste sind es mindestens 60. Sie warnen vor radikalisierten Rückkehrern oder Muslimen, die sich zu Hause von der Gewalt der Terrormiliz inspirieren lassen. Viele Australier machen die Religion fälschlich für die Terrorbereitschaft verantwortlich und werfen die überwiegende Mehrheit der friedliebenden Muslime in einen Topf mit Extremisten.
Sind die Warnungen der Geheimdienste nicht übertrieben?
Die Behörden sagen nein. Die Polizei hat nach eigenen Angaben erst im September eine Enthauptung im Stil der IS-Terrormiliz auf australischem Boden vereitelt.
Kann es im Interesse der Extremisten sein, Hass gegen ihre Glaubensbrüder in Australien zu schüren?
Ja, meint der Anti-Terror-Experte Nick O'Brien von der Charles Sturt-Universität. Ängste schüren, Übergriffe provozieren - das sei die Strategie der Anhänger der IS-Terrormiliz: „Es ist im Interesse der IS, dass Muslime in Australien oder ihre Moscheen angegriffen werden, das würde die australische Gesellschaft spalten. Aber eins ist klar: Von einer Spaltung profitieren nur die Extremisten.“
Was können die Extremisten dadurch gewinnen?
Hassattacken können eine Gewaltspirale auslösen. Übergriffe können junge Muslime empören und in die Arme der Extremisten treiben.
Was wird dagegen getan?
Die Regierung hatte nach Ausschreitungen gegen Muslime vor neun Jahren schon einmal einen Aktionsplan aufgelegt. Dazu gehörten Job-Initiativen, Aufklärungskampagnen und Kultur- und Sportveranstaltungen. Das Verständnis für den Islam sei dadurch gewachsen, urteilte sie später. Es gibt auch spontane Hilfsaktionen: als eine Muslimin nach Beginn der Geiselnahme von Pöbeleien berichtete, erklärten sich in sozialen Netzwerken Tausende unter dem Kennwort #illridewithyou (etwa: ich fahre mit Dir) bereit, Muslime in öffentlichen Verkehrsmitteln zu begleiten und zu beschützen.