Thailand unter Kriegsrecht: Armeechef will Versöhnung
Bangkok (dpa) - Das Militär hat in Thailand mit der überraschenden Verhängung des Kriegsrechts die politischen Karten neu gemischt. Nach monatelangen Tumulten und wachsender Gewalt auf Bangkoks Straßen schritt die Armee am Dienstag im Morgengrauen ein.
Ein Militärputsch sei das aber nicht, betonte Armeechef Prayuth Chan-ocha in einer Fernsehansprache. Das Militär kann unter dem Kriegsrecht unter anderem Ausgangssperren verhängen und Demonstrationen verbieten.
Hintergrund der drastischen Maßnahme ist der anhaltende Machtkampf zwischen dem Regierungslager und seinen Gegnern. Das außerparlamentarische Bündnis „Demokratisches Reformkomitee des Volkes“ (PDRC) versucht seit November, die Regierung mit Massendemonstrationen in die Knie zu zwingen. Sie wirft ihr Verschwendung, Korruption und Machtgier vor und sieht den 2006 gestürzten Regierungschef Thaksin Shinawatra als Wurzel allen Übels.
Thaksin lenkt die Regierungspartei aus dem Exil. Prayuth kündigte an, beide Seiten in Kürze zu Gesprächen zur Beendigung der Krise einzuladen.
Der Armeechef versuchte zu beruhigen. „Keine Panik“, sagte er. „Die Leute sollen ihrem normalen Leben nachgehen, damit sich die Situation schnell normalisieren kann.“ Der Schritt sei nötig gewesen, weil im Zuge der Proteste der Regierungsgegner „Kriegswaffen“ eingesetzt worden seien, sagte Prayuth.
Die Armee wolle weitere Todesopfer verhindern. Mehr als 25 Menschen sind seit Beginn der Proteste im November umgekommen. Prayuth schränkte als Erstes die Pressefreiheit ein. Zehn parteiische Fernsehsender mussten ihren Betrieb einstellen
Die Regierung blieb im Amt, allerdings mit unklaren Machtbefugnissen. Sie schlug nach Angaben des staatlichen Informationsbüros den 3. August als neuen Wahltermin vor. Der Leiter der Wahlkommission wolle aber erst bei den „nationalen Sicherheitsbehörden“ nachfragen, ob die Regierung dazu befugt sei. Die Sicherheit ist mit den weitreichenden Befugnissen des Kriegsrechts jetzt Sache des Militärs. Der amtierende Regierungschef Niwatthamrong Boonsongpaisan rief die Armee auf, der Verfassung treuzubleiben und Gewalt zu vermeiden.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) warnte vor Gewalt. „Ich rufe die Verantwortlichen dazu auf, keine Lösung mit Gewalt zu suchen“, sagte er in Berlin. Er beobachte die Entwicklung mit „großer Sorge“.
Die Europäische Union (EU) rief alle Beteiligten zur Besonnenheit auf. „Die Festsetzung eines klaren Fahrplans für Wahlen und die Einrichtung einer Regierung mit voller demokratischer Legitimation muss jetzt Priorität haben“, hieß es.
Die USA äußerten die Erwartung, dass das Kriegsrecht eine zeitlich begrenzte Maßnahme des Militärs ist, um den Ausbruch von Gewalt zu vermeiden. „Wir sind weiterhin sehr besorgt über die sich vertiefende politische Krise in Thailand“, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki.
Auf Bangkoks Straßen war vom Kriegsrecht zunächst wenig zu spüren. Zwar standen an manchen Kreuzungen bewaffnete Soldaten, sie hielten sich aber zurück. Touristen schossen Erinnerungsfotos mit ihren Handykameras neben Uniformierten oder Armeefahrzeugen. Die Geschäfte waren geöffnet, ebenso Attraktionen wie der Königspalast und Museen.
Der Flughafen und der Nahverkehr funktionierten wie gewohnt. Die Tourismusbehörde rief Besucher lediglich auf, sich von Demonstrationen, Kundgebungen und Menschenaufläufen fernhalten.
Die Opposition verlangt einen ungewählten Rat, der für ein, zwei Jahre regieren und Reformen einleiten soll, um einen Aufstieg wie den Thaksins zu politischer Macht in Zukunft zu verhindern. Die Regierung ist sich dagegen der Mehrheit im Land sicher, und besteht deshalb auf Wahlen. Ihre Anhänger vom Bündnis „Vereinigte Front für Demokratie und gegen Diktatur“ (UDD) haben mit Bürgerkrieg gedroht, sollte die gewählte Regierung entmachtet werden.
PDRC-Anführer Suthep Thaugsuban inszenierte sich am Dienstag in Siegerpose. Vor Kameras übergab er ein am Regierungssitz von seinem Anhängern gestürmtes Büro der Armee. „Wir setzen unsere Demonstrationen zur Forderung nach Reformen vor den nächsten Wahlen fort“, sagte PDRC-Sprecher Akanat Promphan.
Der Begriff Kriegsrecht bezeichnet eigentlich Rechte im Krieg, also zwischen Staaten. Für Maßnahmen, die bei internen Konfliktsituationen verhängt werden, gilt in der Regel der Begriff „Ausnahmezustand“. Den würde in Thailand die Zivilregierung verhängen. Die neue Rechtslage ordnete aber das Militär an. Deshalb ist umgangssprachlich von Kriegsrecht die Rede. Es wurde seit dem Ende der absoluten Monarchie 1932 mehr als ein Dutzend Mal verhängt.
Thaksin, der Ex-Regierungschef im Exil, schrieb auf Twitter, die Kriegsrechtsverhängung sei zu erwarten gewesen. „Ich kann nur hoffen, dass keine Seite gewalttätig wird oder die Menschenrechte verletzt, was unserem Ruf im Ausland weiter schaden würde.“