Warum die EZB Athen den Geldhahn nicht zudreht
Frankfurt/Main (dpa) - Mario Draghi hat sich in eine heikle Lage manövriert: Seit Monaten hängen Griechenlands Banken am Tropf der Europäischen Zentralbank (EZB), die Milliarden in das pleitebedrohte Land pumpt.
Würde Draghi den Geldhahn zudrehen, bevor sich die internationalen Geldgeber und die griechische Links-Rechts-Regierung auf ein Reformpaket geeinigt haben, säßen die Banken auf dem Trockenen - und zögen Hellas mit in die Pleite. Doch dafür will der EZB-Präsident nicht verantwortlich sein: Eine solche weitreichende Entscheidung müssten gewählte Politiker treffen, nicht Zentralbanker. Die Zeit drängt: Das Hilfsprogramm läuft am 30. Juni aus.
Wie unterstützt die EZB Griechenland?
Vor allem, indem sie den dortigen Banken Notfallkredite (Ela) gewährt. In der vergangenen Woche hob der EZB-Rat die Ela-Obergrenze um 2,3 Milliarden Euro auf 83 Milliarden Euro an. „Wir werden die Liquidität weiter erhöhen, so lange die griechischen Banken solvent sind und genügend Sicherheiten hinterlegen können“, sagte Draghi am Montag im Währungsausschuss des EU-Parlamentes.
Was tut die Notenbank außerdem?
Aktuell leihen Europas Zentralbanken Griechenland 118 Milliarden Euro, damit diese die griechische Wirtschaft finanzieren können. Das sei mehr als doppelt so viel wie Ende 2014, betont Draghi: „Aktuell liegt die Liquiditätshilfe bei etwa 66 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung und damit so hoch wie sonst nirgends in der Eurozone.“ Schon als sich die Lage 2010 erstmals zuspitzte, hatte die EZB Staatsanleihenkäufe beschlossen. Ende 2014 hielt die EZB aus diesem SMP-Programm noch griechische Papiere im Wert von 18,1 Milliarden Euro.
Warum erhöht die EZB die Notkredite ständig?
Die Banken brauchen frisches Geld, weil besorgte Unternehmen und Sparer ihre Konten räumen. Nach Zahlen der Privatbank Sal. Oppenheim haben private Haushalte und Unternehmen in Griechenland allein im April 4,5 Milliarden Euro an Einlagen aufgelöst - gut 200 Millionen Euro pro Tag. Die Ökonomen betonen: „Ohne die Liquiditätsnothilfen der EZB wäre das griechische Bankensystem längst zusammengebrochen.“ Wegen der harten Fronten zwischen Athen und den Geldgebern werde die EZB in eine Rolle gedrängt, in der sie sich extrem unwohl fühle, meinen die Experten von Sal. Oppenheim: „Die Entscheidung über die Zusammensetzung der Europäischen Währungsunion liegt eindeutig nicht bei ihr, sondern bei der Politik.“
Gibt es Kritik an den Nothilfen?
Ja. Schließlich finanziert die Notenbank damit indirekt einen Staat - und das ist verboten. Laut Bundesbank kaufen Hellas-Banken mit den Notkrediten neue Staatspapiere mit kurzfristiger Laufzeit (T-Bills), wenn Vorgängerpapiere fällig werden. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann betont: „Dass Banken ohne Marktzugang Kredite gewährt werden, die damit Anleihen des eigenen Staates finanzieren, der selbst ohne Marktzugang ist, finde ich mit Blick auf das Verbot der monetären Staatsfinanzierung nicht in Ordnung.“
Wie lange können die Notkredite fließen?
Diese Kredite sind eigentlich als vorübergehende Notfallhilfe für Banken gedacht, die im Grunde gesund sind, aber für absehbare Zeit frisches Geld brauchen. Europas oberste Bankenabwicklerin Elke König bezweifelte im „Handelsblatt“, dass das für die Finanzinstitute in Griechenland noch gilt: „Für die griechischen Banken ist der Zugang zum Markt nun schon lange geschlossen. Die Grenze zwischen Ela und Konkursverschleppung ist fließend.“
Was würde bei einer rechtzeitigen Einigung geschehen?
Die EZB hat angekündigt, dass die Obergrenze für Kurzfristanleihen (T-Bills) angehoben werden könnte, wenn es eine „glaubwürdige Perspektive für eine erfolgreiche Lösung“ gäbe. Zuvor müsse die Politik derzeit blockierte Hilfsgelder in Höhe von 7,2 Milliarden Euro überweisen. Zudem könnte die EZB griechischen Banken wieder Zentralbankgeld leihen. Diese wichtige Quelle war nach dem Regierungswechsel in Athen versiegt.
Was würde bei einer Staatspleite mit den Kreditinstituten geschehen?
Sie würden mit in die Insolvenz gerissen, glaubt nicht nur Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer: „Denn Staatsanleihen und andere Forderungen an den Staat in den Büchern griechischer Banken würden weitgehend wertlos.“
Müsste Athen die Währungsunion verlassen?
Nicht zwangsläufig. Der EU-Vertrag sieht nicht vor, dass ein Land aus dem Euro austritt. Trotzdem ist ein „Grexit“ bei einer Insolvenz Griechenlands wahrscheinlich, wie Krämer betont: „Die griechischen Banken wären von der Liquiditätsversorgung durch die EZB abgeklemmt. Ohne Zugang zu neuen Euro wäre das Land faktisch aus der Währungsunion ausgeschlossen.“ Die Experten von Sal. Oppenheim teilen diese Meinung: „Griechenland müsste eine neue Währung einführen und diese drastisch gegenüber dem Euro abwerten.“ Die Folgen wären sehr hohe Inflation und ein Kollaps der griechischen Wirtschaft. Allerdings würde die Politik vermutlich Mittel und Wege finden, Griechenland in der EU zu halten und zu unterstützen: „Schließlich wird sie ein Armenhaus am Rande Europas vermeiden wollen.“