Analyse Was gegen Pendler-Stress helfen kann

Berlin (dpa) - Morgens um sechs Uhr auf die Autobahn oder in den Zug, abends erst spät wieder zuhause ankommen - für Millionen Bundesbürger ist Pendeln Alltag.

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Im vergangenen Jahr stieg der Anteil der pendelnden Beschäftigten um 0,2 Prozentpunkte auf einen neuen Rekordwert von 59,4 Prozent. Betroffen sind 18,4 Millionen Menschen in Deutschland - oft sind es Arbeitnehmer mit guten Jobs. Die Nachteile liegen auf der Hand: Stress, weniger Zeit für Familie und Freunde, Flächenverbrauch, mehr Verkehr. Wo wird in Deutschland am meisten gependelt - und gibt es Rezepte gegen Pendler-Stress?

Die Großstadt mit den meisten sogenannten Einpendlern ist München mit 365 000 Menschen, die dort im vergangenen Jahr arbeiteten, aber nicht wohnten. Es folgt Frankfurt am Main mit 352 000 Einpendlern. Den größten Anteil an Pendlern an allen Beschäftigten haben Heidelberg und Ludwigshafen mit 69 Prozent der dort Beschäftigten. Auch von den Arbeitnehmern in Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart pendeln fast zwei von drei in die Stadt. Den größten Zuwachs hatte in den vergangenen Jahren Berlin, wo die Zahl der Pendler seit der Jahrtausendwende um weit über 50 Prozent auf zuletzt fast 300 000 stieg.

Ermittelt hat das - anhand von Daten der Bundesagentur für Arbeit - das Bonner Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Dessen Experte Thomas Pütz sagt, vor allem wenn Metropolen mit steigenden Miet- und Immobilienkosten überwiegend von ländlichem Raum umgeben sind wie zwischen Hamburg und Berlin, wird Pendeln für viele zum Alltag. In Regionen mit vielen kleineren Städten, in denen es jeweils Büros und Betriebe gibt, haben es die Menschen oft weniger weit zur Arbeit.

Doch auch Pendeln über lange Strecken ist für viele normal. So ist der Anteil der Pendler mit einem einfachen Arbeitsweg von mehr als 50 Kilometer 2016 noch einmal leicht auf 6,2 Prozent gestiegen. 42 000 Menschen pendeln zum Beispiel von Sachsen-Anhalt nach Niedersachsen, 35 000 von Nordrhein-Westfalen nach Baden-Württemberg und 11 000 sogar von Bayern nach Berlin. Von Berlin nach Bayern sind es 14 000. Ob die Betroffenen am Arbeitsort unter der Woche auch wohnen, was bei langen Distanzen anzunehmen ist, erfasst die Statistik nicht.

Vor allem Männer pendeln dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden zufolge über lange Strecken. Bei jüngeren Arbeitnehmern zwischen Anfang 20 und Anfang 30 diene Pendeln oft dazu, sich ohne Wohnortwechsel mit befristeten Jobs zu arrangieren.

Rund 40 Prozent der Fernpendler mit einer Fahrzeit von einer Stunde und länger leiden laut Bundesinstitut stärker unter Stress - 60 Prozent empfänden dies nicht so. Ein Rezept gegen Pendler-Stress ist also augenscheinlich die eigene Einstellung - manche empfinden die Zeit auf dem Arbeitsweg gar nicht als Belastung. Doch viele dieser Betroffenen neigen laut den Forschern auch einfach dazu, den Stress als notwendiges Übel wegzustecken.

Die Politik lässt das Pendeln nicht kalt - gilt es doch, die Wünsche der Menschen nach Heimat, nach Sesshaftigkeit am ursprünglichen Wohnort mit der Mobilität einfordernden Wirtschaft in Einklang zu bringen. Die Volksparteien CDU/CSU und SPD versprechen in ihren Wahlprogrammen wortgleich, den öffentlichen Nahverkehr „noch attraktiver“ zu machen. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat eine Förderung von Betrieben für umwelt- und arbeitnehmerfreundliche Arbeitswege angeregt - etwa durch gemeinsames Nutzen von Autos, durch Jobtickets, mehr Fahrradstellplätze und Homeoffice-Angebote.

Selbst der ADAC notiert in seinen Impulsen zur Bundestagswahl mit Sorge, dass Pendelverkehr zunimmt, „weil viele Menschen in den Städten keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden“. Der ADAC macht sich für die „Stadt der kurzen Wege“ stark mit verdichtetem Wohnraum und mit einem engen Nebeneinander von Arbeiten, Wohnen, Einkaufen und Freizeit. Dann würde den Menschen öfter Fuß- und Radverkehr reichen. Das sei geeignet, „Wege mit dem Auto zu ersetzen“, so der Automobilclub.

Gern sähe der ADAC auch mehr Park&Ride-Anlagen, so dass die Menschen aus dem Umland besser auf öffentlichen Verkehr umsteigen können - statt sich auf vollen Straßen in die Stadt quälen zu müssen.