Fragen und Antworten Was ist am deutschen Handelsüberschuss so schlimm?
Berlin (dpa) - Er hat es wieder getan. Via Twitter polterte der US-Präsident Donald Trump: „Wir haben ein MASSIVES Handelsdefizit mit Deutschland“ - und fügte hinzu: „Sehr schlecht für die USA.
Das wird sich ändern.“
Die jüngsten Äußerungen nähren Sorgen, die USA könnten sich auf einen Abschottungskurs begeben, zum Nachteil vor allem exportabhängiger Nationen wie zum Beispiel Deutschland. Der Berliner Reflex auf den amerikanischen Kurs: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem konfliktträchtigen G7-Gipfel auf Sizilien sagte. Doch geht das in der globalisierten Wirtschaftswelt überhaupt? Fragen und Antworten zum Handelskonflikt mit den USA.
Was bedeutet das eigentlich, so ein Handelsdefizit?
Einfach gesagt: Führt ein Land mehr ein, als es exportiert, dann ist seine Handelsbilanz im Minus. Das ist bei den Amerikanern seit Jahren der Fall - zuletzt betrug das Handelsdefizit im vorigen Jahr rund 750 Milliarden Dollar. Automatisch haben dann andere Länder, wie zum Beispiel traditionell Deutschland einen Handelsüberschuss - sie exportieren mehr, als sie aus anderen Ländern einführen. Hierzulande betrug das Plus in der Handelsbilanz zuletzt (2016) rund 252 Milliarden Euro.
Und was ist daran so schlimm? Ist das nicht nur ein Imageproblem?
Die Kehrseite der Medaille kann zu einem Problem werden. Denn Handelsdefizite müssen ja finanziert werden - und zwar mit Kapital aus dem Ausland. Die US-Wirtschaft ist also darauf angewiesen, in hohem Maß Geld aus dem Ausland anzuziehen. Anders sieht es bei Ländern mit Handelsüberschüssen aus: Sie haben quasi mehr Geld zur Verfügung, als in der eigenen Volkswirtschaft gebraucht wird: Das Land exportiert dann Kapital.
Wie sehen die Zahlen im deutsch-amerikanischen Handel genau aus?
Die USA haben zuletzt (2016) Waren für 114,8 Milliarden Dollar aus Deutschland bezogen - im Gegenzug haben sie aber lediglich für 49,3 Milliarden Dollar nach Deutschland exportiert. Die amerikanisch-deutsche Handelsbilanz ist mit einem Minus von 65,4 Milliarden Dollar in den roten Zahlen. Das ist nicht ganz so viel, wie in den beiden Vorjahren mit rund 75 Milliarden Dollar - aber doch deutlich mehr als zur Jahrtausendwende mit damals noch rund 29 Milliarden Dollar.
Ist das eigentlich ein spezielles Problem, dass die Amerikaner mit den Deutschen haben?
Nein. Eigentlich ist der Handel mit Deutschland sogar ein relativ kleines Problem für die USA. Die deutschen Waren machen lediglich gut 5 Prozent aller amerikanischen Einfuhren aus. Fast die Hälfte entfällt dagegen auf die drei wichtigsten Lieferländer China, Kanada und Mexiko - wobei allein China Waren im Wert von etwa 463 Milliarden Dollar nach Amerika liefert. Jeder fünfte Dollar, der für Einfuhren bezahlt wird, fließt damit ins Reich der Mitte. Weil die US-Ausfuhren nach China deutlich geringer sind, machte das Handelsdefizit zuletzt 347 Milliarden Dollar aus, mehr als fünfmal so viel wie das im deutsch-amerikanischen Handel.
Welche Folgen hat das?
Zum einen profitieren amerikanische Verbraucher davon, dass sie günstige Konsumartikel „Made in China“ kaufen können, die aus amerikanischer Fertigung vielleicht teurer wären. Selbst das iPhone, ein Aushängeschild der amerikanischen Hightech-Industrie ist lediglich „designed by Apple in California“, aber aus Kostengründen in China gefertigt. Und auch der amerikanische Staat profitiert von Pekings wirtschaftlicher Stärke. Denn China hat mit seinem überschüssigen Kapital jahrelang in großem Stil US-Staatsanleihen gekauft und ist damit zu einem großen Finanzierer der Staatsschulden Washingtons geworden. Entsprechend weist auch Bundeskanzlerin Angela Merkel darauf hin, dass es viel mehr deutsche Direktinvestitionen in Amerika gebe.
Woran liegt das denn eigentlich, dass manche Länder so exportstark sind?
Moderne Volkswirtschaften produzieren seit Generationen nicht mehr alle benötigten Produkte im eigenen Land. Eine Grundregel der internationalen Arbeitsteilung wurde schon vor mehr als 200 Jahren von Ökonomen wie Adam Smith und später David Ricardo erklärt, dessen Theorie „komparativer Kostenvorteile“ noch heute als Grundlage für außenwirtschaftliche Theorien genommen wird. Kurz gesagt: Jeder produziert in der Weltwirtschaft die Produkte, die er vergleichsweise günstig herstellen kann. Hinzu kommen Kompetenz und Qualität als weitere Argumente. Nicht nur Autos „made in Germany“ haben weltweit immer noch einen guten Ruf. Das Land der Tüftler und Erfinder bringt zudem viele Güter hervor, die auf dem Weltmarkt mehr oder weniger konkurrenzlos sind, wie zum Beispiel im Maschinenbau.
Warum ist die Debatte dann so hitzig?
Zum einen schürt die neue US-Regierung unter Trump mit ihrem Credo „America first“ die Sorge vor einer Abschottung, etwa indem auf Importwaren hohe Zölle erhoben werden. Außerdem ist Trump nicht immer mit zutreffenden Fakten unterwegs. Ein Beispiel: „Schauen sie sich die Millionen von Autos an, die sie (die Deutschen) in den USA verkaufen. Fürchterlich. Wir werden das stoppen“, wurde er unlängst zitiert. In Wirklichkeit kamen die deutschen Autobauer 2016 auf einen Gesamtabsatz von 1,3 Millionen Fahrzeugen. Ihr Marktanteil dort liegt bei nur gut 7 Prozent. Und 850.000 Autos deutscher Marken wurden 2016 von BMW, Daimler und Co. in den USA produziert, was Tausende amerikanischer Jobs sichert.
Dann können die Deutschen Trumps Kritik doch einfach ignorieren?
Ganz so leicht ist das nicht. Zwar sagt der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, zu Trump: „Wenn er etwas ändern will, sollte er mit seiner eigenen Politik anfangen.“ Denn dieser treibe das US-Leistungsbilanzdefizit weiter in die Höhe, indem die Staatsverschuldung durch Steuersenkungen und höhere Militärausgaben ausgeweitet würden. Allerdings wird der deutsche Exportüberschuss auch beim Internationalen Währungsfonds, bei europäischen Partnern wie Frankreich und der EU-Kommission durchaus kritisch beobachtet. „Deutschland hat in der Tat einen exzessiven Handelsüberschuss, der zu den Ungleichgewichten weltweit und auch in Europa beiträgt“, sagt denn auch der Präsident des Berliner Forschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher. Außerdem würde Deutschland in einem Handelskonflikt den Kürzeren ziehen: „Auch wenn die USA sich selber mit Handelssanktionen schaden würden, so hat Deutschland deutlich mehr zu verlieren als die USA.“
Wie könnte dann eine Lösung aussehen?
Die deutsche Geschichte zeigt einen möglichen Weg auf: Binneninvestitionen. Nach der deutschen Einheit schmolzen die deutschen Exportüberschüsse zunächst deutlich, weil der Aufbau Ost sehr viele Ressourcen erforderte. Ähnliches würde passieren, wenn heute Investitionen im Deutschland deutlich erhöht würden, beispielsweise in die Infrastruktur. „Deutschland könnte den USA entgegenkommen, indem die Rahmenbedingungen für private und öffentliche Investitionen hier verbessert werden“, sagt denn auch der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest. Fratzscher sieht das ähnlich: „. Deutschlands Problem ist seine riesige Investitionslücke, die zu geringen Importen und hohen Kapitalexporten führt.“