„Was tun?“: Lateinamerikas Linke ohne Lichtgestalt
Caracas (dpa) - Hugo Chávez war der Stolz der Linken in Lateinamerika. Der „Comandante“ ließ den Traum von der Revolution aufblühen, und er ermöglichte den Aufstieg von Gesinnungsgenossen in anderen Ländern.
Nun ist Chávez tot. Überlebt der Chavismus?
Nahezu messianisch verfolgte Chávez seine Mission der „Bolivarischen Revolution“. In der Nachfolge des Freiheitshelden Simón Bolívar wollte er Lateinamerika einen, den Kapitalismus bändigen und die langen Jahre der Vorherrschaft der USA in deren „Hinterhof“ endgültig auf den Müllhaufen der Geschichte werfen. Er eilte zu Hause von Wahlsieg zu Wahlsieg und führte die Linken Lateinamerikas zu neuen Höhen. Ohne ihn wären Linksregierungen wie in Bolivien und Ecuador kaum vorstellbar. Er war für die Linken die schillernde Lichtgestalt, die aber aus Sicht der Kritiker allzuoft dem Motto folgte: „Der Zweck heiligt die Mittel.“
In seiner Heimat wurde er als „Vater der Nation“ verehrt, von vielen gar vergöttert. „Herz des Vaterlandes“ war einer seiner Titel und seine Anhänger, die Chavistas, erleben den Tod des „Comandante Eterno“ (ewigen Kommandanten) emotional als wirklichen Vaterverlust. Er setzte mit seinem milliardenschweren Sozialprogrammen, den „Missiones“, die Armutsbekämpfung in Venezuela ganz nach oben auf die Agenda. Häuserbau, Schulen, Gesundheit - alles sollte besser werden und vieles wurde besser. Vieles aber wurde auch schlechter, weil Chávez auf einen Zentralismus setzte und Investitionen in wichtige Wirtschaftsbereiche schleifen ließ. Dabei sprudelten in Venezuela wie in keinem anderen Land Südamerikas die Einnahmen aus dem Ölgeschäft.
Als Chávez 1999 antrat, lag der Preis für ein Barrel Öl (159 Liter) bei rund 10 Dollar. Er stieg 2008 auf 145 Dollar. Jetzt sind es um die 100 Dollar, und das Opec-Land Venezuela gehört mit seinen immensen Reserven zu den größten Ölmächten der Welt. Chávez konnte aus dem Vollen schöpfen und hielt die Benzinpreise so niedrig, dass Sprit in Venezuela billiger als Mineralwasser ist. In seinem Kampf für den Sozialismus waren ihm die Grenzen Venezuelas stets zu eng. Er schmiedete internationale Allianzen und förderte Länder wie Kuba, Bolivien, Nicaragua und karibische Staaten mit billigem Öl und Milliarden-Geschenken.
„Chávez' Kühnheit trug teilweise dazu bei, den Stolz und das politische Selbstbewusstsein in der Region zu inspirieren und den Traum von einer linken Revolution in Lateinamerika wiederzubeleben“, schrieb Michael Shifter, Präsident des US-Thinktank „Inter-American Dialogue“ nach dem Tod des venezolanischen Staatschefs unter dem Titel „So Long, Chávez“. Doch letztlich seien seine Beiträge für die Region als „minimal“ anzusehen im Vergleich zu den positiven Auswirkungen größerer und wichtigerer Faktoren wie etwa dem Aufstieg Brasiliens, dem Rohstoff-Boom oder auch den aktuellen finanziellen und politischen Mängeln in den USA.
Außenpolitisch schmiedete Chávez fragwürdige Allianzen etwa mit Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, Weißrusslands autoritärem Staatschef Alexander Lukaschenko, Syriens Baschar al-Assad oder seinerzeit auch mit Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. Er streute seine Bündnisse auf exaktem Gegenkurs zum „imperialistischen Imperium“, wie er die USA zu nennen pflegte. Sukzessive übernahm er seit seinem Machtantritt 1999 die Rolle des linken Fahnenträgers von Kubas Revolutionsführer Fidel Castro, den Chávez bis zur allerletzten Stunde als „Vater“ verehrte.
Das Nachrichtenportal „noticias24“ brachte das Gefühl vieler in Lateinamerika wenige Minuten nach der Todesnachricht mit einer Schlagzeile wohl auf den Punkt: „Hugo Chávez, der Christus der Armen in Lateinamerika, ist tot.“ Der Sozialismus á la Chávez war immer auch geprägt von religiösen Motiven. Jesus als Revolutionär, Bolivar als Nationalheld und Fidel Castro als Vorbild - das war die eigenwillige Mischung, die Chávez um nationalistische Akzente erweitert für seine Revolution braute. Der Comandante ist tot und Venezuela steht nun vor der schwierigen Frage: Gibt es einen Chavismus ohne Chávez? Die Antwort wird nicht lange auf sich warten lassen. Sie fällt in den kommenden Wochen an der Wahlurne.