(K)Ein Herz für den Diesel? Wie EU und USA Abgas-Grenzwerte setzen
New York/Brüssel (dpa) - Die „Dieselgate“-Affäre hat Volkswagen bereits Milliarden gekostet und ist für den Konzern noch lange nicht ausgestanden. Aber der Skandal rückt nicht nur den Wolfsburger Autobauer ins Zwielicht, er wirft auch generelle Fragen nach der Abgas-Regulierung dies- und jenseits des Atlantiks auf.
Wie kann es sein, dass VW in den USA - dem Land, das vielen Experten neben China als größter Klimasünder gilt - striktere Auflagen zum Ausstoß des Schadstoffs Stickoxid (NOx) als in Europa zum Verhängnis wurden?
Hinter den starken Abweichungen bei den Emissionsregeln steckt neben Klimaschutz eine erhebliche Prise Industriepolitik, meinen Experten. Im Klartext: In Europa werde beim Umweltschutz Rücksicht auf die für die heimischen Autobauer wichtige Dieseltechnik genommen - in den USA, wo Benziner dominieren, eben nicht. So stellt sich im Zusammenhang mit dem VW-Skandal auch die Frage: Wir stark richtet sich Regulierung an den Bedürfnissen der jeweiligen Industrie aus?
Fest steht: Unterschiedliche Standards haben beim VW-Skandal eine wichtige Rolle gespielt. Während die EU vor allem das Klimagas CO2 auf dem Kieker hat, fahren die USA eine harte Linie gegen NOx. Diese Schadstoffe stellen eine direkte Bedrohung für die Gesundheit dar. CO2 hingegen ist in nicht allzu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber das wichtigste Treibhausgas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich.
Entscheidend im VW-Skandal: Dieselmotoren stoßen bei vergleichbarer Leistung meist mehr NOx aus als Benziner. Technische Mittel, um die strengeren Grenzwerte in den USA einzuhalten, hätte es zwar gegeben. Doch das wäre aufwendig und teuer gewesen. Bei VW wurde stattdessen mit einer speziellen Software getäuscht, die dazu führte, dass der NOx-Ausstoß von Dieselwagen auf der Straße viel höher ausfiel als im Testmodus. Der Rest ist Wirtschaftsgeschichte - der massenhafte Betrug wird den Konzern in den USA über 17 Milliarden Dollar kosten.
Aber warum werden in Europa und den USA überhaupt so unterschiedliche Maßstäbe angelegt? Die Ökonomen Eugenio Miravete, Maria Moral und Jeff Thurk kommen zu dem Schluss, dass die Wirtschaftspolitik ein wichtiger Faktor ist. Die verschiedenen Regulierungsansätze seien somit auch ein Hauptgrund für die völlig unterschiedliche Stellung des Diesels auf den Kontinenten. Während die Technik in den USA immer schon als dreckiger „Traktorantrieb“ verpönt war, erfreut sie sich in Europa weiter großer Beliebtheit.
„Da Dieselfahrzeuge vor allem von europäischen Autoherstellern gebaut werden, erhielten diese durch die Emissionsregeln einen Wettbewerbsvorteil, um sie vor ausländischen Konkurrenten zu schützen, die nicht in die Diesel-Technik investiert hatten“, heißt es in der Studie der Wirtschaftswissenschaftler. Die USA hätten NOx 1990 im Rahmen des Luftreinhaltegesetzes den Kampf angesagt - in Europa habe man von strikterer Regulierung abgesehen. Profitiert habe davon die Autobranche. Sie setzte stark auf den Diesel, der bereits ab 1973 durch eine günstige Besteuerung gefördert worden sei.
So haben sich Dieselautos in Europa in wenigen Jahrzehnten rasant ausbreiten und einen Marktanteil von über 50 Prozent erreichen können. In den USA und vielen anderen Märkten hingegen kam die Technik nie so richtig aus der Nische. Für die europäischen Autobauer wurde der Diesel zu einem wichtigen Heimvorteil gegenüber ausländischer Konkurrenz, die eher auf Benziner setzt.
Nachsicht mit heimischen Herstellern sieht auch Julia Poliscanova vom Umweltverband Transport and Environment als einen Grund für die Zurückhaltung der europäischen Politik beim NOx-Ausstoß. Zwar gibt es sei 1991 Grenzwerte. Doch ob diese auch wirklich eingehalten werden, sei lange nicht streng genug kontrolliert worden, beklagt sie.
Hinzu kommt, dass die Erderwärmung in Europa schon länger von Politik und Gesellschaft als ernsthaftes Problem wahrgenommen wird. „Beim Klimaschutz ist Europa traditionell ehrgeiziger als die USA“, merkt Poliscanova an - daher der Fokus auf das Treibhausgas Kohlendioxid.
Der in den USA aufgedeckte Diesel-Skandal hat Europa nun aber unter Druck gesetzt. Ab September werden in der EU schrittweise Schadstoff-Tests eingeführt, bei denen Abgaswerte im Verkehr auf der Straße statt im Labor gemessen werden („Real Driving Emissions“).