Wie Europa weitere Flüchtlingskatastrophen verhindern will
Brüssel (dpa) - Die jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer haben die Europäische Union (EU) in Erklärungsnot gebracht. Kann der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2012 weitere Tragödien mit Hunderten von Toten verhindern?
Brüssel (dpa) - Die jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer haben die Europäische Union (EU) in Erklärungsnot gebracht. Kann der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2012 weitere Tragödien mit Hunderten von Toten verhindern?
Bei dem Krisengipfel diskutierten die Staats- und Regierungschefs ein umfangreiches Aktionspaket. Vor- und Nachteile einzelner Maßnahmen im Überblick:
Ausweitung der Seenotrettung im Mittelmeer
Pro: Mit mehr Geld und mehr Schiffen könnten vermutlich deutlich mehr in Seenot geratene Bootsflüchtlinge gerettet werden.
Kontra: Eine vollständige Absicherung der Seewege nach Europa ist so gut wie unmöglich. Kritiker sind darüber hinaus der Ansicht, dass eine Ausweitung der Seenotrettung nur noch mehr Flüchtlinge anlocken würde. Ihre Argumentation: Das Risiko, bei der Überfahrt zu sterben, sinkt erst einmal. Schleuser könnten zudem noch marodere Schiffe einsetzen und so noch mehr Geld verdienen.
Kampf gegen Schleuserbanden
Pro: Ohne die professionelle Unterstützung von Schleuserbanden würde vermutlich wesentlicher weniger Menschen die Flucht nach Europa gelingen.
Kontra: An der Zahl der Menschen, die nach Europa auswandern wollen, ändert sich nichts. Vermutlich würden viele Migranten versuchen, auf eigene Faust einen Weg nach Europa zu finden - zum Beispiel über die spanische Nordafrika-Exklave Melilla oder indem sie sich selbst eine Überfahrtmöglichkeit suchen. Zudem sind sich Experten sicher, dass für Schleuserkriminalität dasselbe gilt wie für andere Arten von Kriminalität. Das heißt: Sie lässt sich vielleicht eindämmen, aber nicht aus der Welt schaffen.
Gezielte Zerstörung der von Schleppern genutzten Schiffe
Pro: Die Zahl der Bootsflüchtlinge würde sinken und damit auch das Unglücksrisiko.
Kontra: An der Zahl der Menschen, die nach Europa auswandern wollen, ändert sich auch durch diese Maßnahme nichts. Militäreinsätze gegen Schlepperbanden gelten zudem als heikel. Werden voll besetzte Schiffe aufgebracht, droht das Leben der Flüchtlinge in Gefahr zu geraten. Um vor der Küste Libyens liegende Schiffe anzugreifen, bräuchte es voraussichtlich ein Mandat des UN-Sicherheitsrats. Auch wären solche Einsätze äußerst gefährlich. Ein Teil des Schleppergeschäfts soll von Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat (IS) kontrolliert werden.
Zusammenarbeit bzw. Intervention in Transitländern
Pro: Bessere Grenzkontrollen in den Staaten am südlichen Mittelmeerrand könnten den Zustrom von Migranten aus Ländern wie Eritrea, Somalia und Syrien deutlich eindämmen. Die meisten Bootsflüchtlinge kommen mittlerweile über Libyen nach Europa. Dort gibt es seit dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi keine funktionierenden Grenzkontrollen mehr.
Kontra: In Libyen könnte, wenn überhaupt, ein neuer westlicher Militäreinsatz den Bürgerkrieg beenden. Auf solch ein gefährliches Abenteuer will sich allerdings niemand einlassen. Eine Zusammenarbeit mit Ländern wie Tunesien, Algerien und Marokko gibt es bereits seit langem. Sie kann allerdings nur begrenzt hilfreich sein, wenn es weiter unkontrollierte Grenzen an anderer Stelle gibt. Zudem gilt auch bei dieser Maßnahme: An der Zahl der Menschen, die nach Europa auswandern wollen, ändert sich nichts.
Bekämpfung der Ursachen von Migration
Pro: Armut, Hunger, Unterdrückung, Bürgerkrieg - niemand verlässt grundlos seine Heimat. Der Kampf gegen menschenunwürdige Lebensverhältnisse gilt deswegen als das beste Rezept für eine Lösung der Flüchtlingsprobleme.
Kontra: Gegen eine Bekämpfung der Ursachen von Migration spricht nichts. Entwicklungshilfe gibt es allerdings seit Jahrzehnten und bislang hat sie nicht die erwünschten Erfolge gebracht. Wer keine falschen Hoffnungen wecken will, dämpft deswegen die Erwartungen. Zum aktuellen Flüchtlingselend im Mittelmeerraum sagte die Vorsitzende der Afrikanische Union, Nkosazana Dlamini-Zuma, am Mittwoch: „Ich denke nicht, dass dieses Problem über Nacht gelöst werden kann.“ Nur eine enge Kooperation zwischen Afrika und Europa könne wirklich helfen.
WEITERE HANDLUNGSOPTIONEN
Kein offizielles Thema beim Gipfel war der mögliche Ausbau von legalen Einwanderungsmöglichkeiten. Menschenrechtsorganisationen, aber auch viele Politiker kritisieren seit langem, dass sich selbst eindeutig schutzbedürftige Menschen in die Hände von kriminellen Schleusern begeben müssen, um nach Europa zu kommen. Beispiel sind viele Opfer des Bürgerkriegs in Syrien. Nicht auf der Tagesordnung stand auch die Idee, Asylanträge von Flüchtlingen bereits in Nordafrika zu prüfen. Die Einrichtung von entsprechenden Auffanglagern in Ländern wie Libyen gilt als nicht umsetzbar.