„Wir müssen raus!“ - Verzweiflung bei Schlecker
Köln/Münster (dpa) - „Wir müssen raus!“ - Der Satz mit dem Ausrufezeichen ist orange eingerahmt. Er preist vor einem kleinen Schlecker-Markt im Münsterland 60-Watt-Glühbirnen und Fliegenklatschen an.
Er beschreibt aber auch die bittere Zukunft der beiden Mitarbeiterinnen in der Filiale.
Die Frauen in weiß-blauen Kitteln sind die klassischen Schlecker-Verkäuferinnen: 56 Jahre alt, der Firma immer treu ergeben und jetzt vor dem Nichts. Vor einer Minute ist das Fax mit der Hiobsbotschaft angekommen: Die Kette wird abgewickelt. „Ich könnte den ganzen Laden auseinandernehmen“, sagt eine der Frauen. Dann verfällt sie in dumpfes Schweigen.
Aus ihrer Kollegin dagegen sprudelt der Frust nur so heraus. „Wir haben hier wie die Sklaven gearbeitet. Wir sind früh gekommen, spät gegangen, haben keine Pause gemacht. Wir haben die Toiletten saubergemacht, Fenster geputzt.“ Und jetzt das. „Wir sind wirklich sauer. Das ist eine Katastrophe.“ Die 56-Jährige schaut immer wieder ungläubig auf das mehrseitige Fax. „Ende Juni“, liest sie halblaut. Dann sollen die Filialen schließen.
Nur zögernd kommt die Leiterin einer Filiale in der Kölner Altstadt aus dem Personalraum. „Ich hab schon geahnt, dass das nichts mehr wird“, sagt sie und schluckt hart. Dabei laufe ihr Laden gut: „Hier kaufen viele Touristen, wir haben viele Stammkunden, die mit uns gezittert haben.“ Die Frau zuckt hilflos die Schultern. „Tja, jetzt werde ich arbeitslos, nach 20 Jahren hier. Es wird schwer sein, was neues zu finden“, meint sie.
„Man hat ja immer noch gehofft, dass es irgendwie noch klappt“, sagt die Mitarbeiterin einer Bielefelder Filiale. „Seit 21 Jahren bin ich jetzt bei Schlecker. Ich hab' gedacht, die letzten drei Jahre schaff' ich auch noch. Und nun das.“ In der letzten verbliebenen Dortmunder Innenstadt-Filiale hat die Nachricht vom Schlecker-Aus der Kassiererin regelrecht die Sprache verschlagen. Die Frau hat gerade per SMS von der Entscheidung des Gläubiger-Ausschusses erfahren. Erst als sie sich wieder einigermaßen gefangen hat, kassiert sie weiter - wortlos.
Schlecker-Betriebsräte aus allen Teilen der Republik sind am Freitag nach Berlin gereist und haben dort erfahren, dass die Drogeriekette abgewickelt wird. „Die Mitarbeiterinnen haben die Entscheidung mit Würde aufgenommen und mit hoch erhobenem Kopf“, sagt Gesamtbetriebsratschefin Christel Hoffmann - und hat dabei Tränen in den Augen. „Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht“, meint Betriebsrätin Susanne Martin aus Hamm. „Ich würde jetzt jeden Job annehmen. Zu einem Teil ist die Politik Schuld, zu einem anderen Teil Anton Schlecker.“
In der Filiale im Münsterland hat die schweigsame Mitarbeiterin minutenlang traurig auf ihre Hände gestarrt, während ihre Kollegin schimpft. Jetzt sagt die stillere Frau: „Durch Schlecker bin ich krank geworden.“ Ihr Blick schweift auf den Boden, sie stutzt - und lacht dann plötzlich. „Sag mal, ist dir schon mal aufgefallen, dass der Boden hier schief ist?“