Analyse Zwei wie Trump und Merkel: mächtig und grundverschieden
Berlin/Washington (dpa) - Auch Angela Merkel ist irgendwie auf Twitter. Vielmehr ihr Regierungssprecher Steffen Seibert. Fast 9000 Tweets hat er abgesetzt. 722 000 Menschen folgen ihm in diesem Kurznachrichtendienst.
Das Profilfoto zeigt Seibert. Merkel selbst twittert nicht. Es ist nicht so ihre Sache.
Das Profilfoto von Donald Trump zeigt Trump, beklatscht von Familie und Freunden bei seiner Amtseinführung im Januar. Er hat mehr als 26 Millionen Follower und knapp 35 000 mal getwittert. Einige Male hat das weltweit Lärm gemacht. Wie kürzlich, als er seinem Vorgänger Barack Obama Abhöraktionen vorwarf. Trump, der US-Präsident, Amerika zuerst.
Merkel und Trump. Unterschiedlicher können zwei Spitzenpolitiker kaum sein. Hier die nüchterne, abwägende, bedachte Naturwissenschaftlerin mit mäßigem Mitteilungsbedürfnis. Dort der polternde, impulsive Milliardär mit großem Geltungsdrang. An diesem Dienstag treffen die mächtigste Frau und der mächtigste Mann der Welt in Washington erstmals aufeinander.
Wie immer bei spannenden Ereignissen lässt Merkel vorher die Erwartungen dämpfen. Um dann, zumindest gefühlt, mehr Ergebnisse zu erzielen. Zwar dient dieser Besuch vor allem erst einmal dem Kennenlernen. Aber das Gespräch wird ein Ritt durch die Weltlage: Wer zahlt wie viel für Verteidigung? Halten alle an der Nato fest? Gibt es eine gemeinsame Haltung zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin und den Sanktionen gegen Moskau? Was ist mit der Wirtschaft: Alles für Amerika oder doch freier Handel? Haben sie die gleichen Werte, Pressefreiheit, Rechtsstaat? Respektieren sie sich?
Um Vertrauen aufzubauen, müssen sie wohl auch Vergangenes klären. Trump hatte Merkel vorgeworfen, Deutschland mit ihrer „wahnsinnigen“ Flüchtlingspolitik ruiniert zu haben. Merkel trat im Kanzleramt vor die Kameras und stellte Trump recht unverhohlen Bedingungen für eine Zusammenarbeit: Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Meinung, Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung. Das ist nicht wenig. Aber lässt ein US-Präsident sich Bedingungen diktieren?
Traditionen und Historie sind Trump herzlich egal. Mit seinem Team hat er sich bisher so gut wie möglich als radikaler Anti-Politiker zu positionieren versucht, als Andersmacher und Durchrüttler. Was bringt mir eine Allianz? Was haben die USA von einem Bündnis? Wenn unter der Last scharfer Fragen Althergebrachtes zusammenbricht, wird das in Kauf genommen oder sogar erwünscht. Wird das mit Blick auf Europa anders sein?
Die Interessen der US-Regierung lagen bisher eindeutig nicht bei den alten Verbündeten, das kann man im Weißen Haus vor einem so wichtigen Besuch zumal des bedeutendsten europäischen Handelspartners freilich nicht so laut sagen. Dass die Europäer aber mehr Verantwortung übernehmen sollen, das ist keine Erfindung Trumps. Er fordert das nur tatsächlich ein.
Merkel denkt in Bündnissen, Trump denkt an Amerika. Er will das Land auf sich selbst zurückführen und wieder „groß“ machen. Offen bekennt sich sein innerster Kreis zu wirtschaftlichem Nationalismus. Der ist der Kanzlerin wesensfremd. Dass die „Financial Times“ kurz vor dem Treffen berichtet, im Weißen Haus sei ein offener Krieg um die Handelspolitik ausgebrochen, Protektionismus Ja oder Nein, erhöht die Spannung für den Dienstag zusätzlich.
„Alle Straßen führen nach Berlin“, beschreibt der Think Tank CSIS in Washington kurz vor Merkels Kommen die internationale Verflechtung Deutschlands. Diplomaten geben sich sicher, dass der neue Präsident das spezifische Gewicht Deutschlands schon kennenlernen wird. Während man in Deutschland tief beunruhigt nach Washington schaut und viele sich fragen, was denn nur in dieses Land gefahren ist, hat die neue US-Regierung Deutschland bisher nicht als Vorbild für Buntheit, Internationalität oder Klimaschutz beschrieben. Man ist sich nicht nähergekommen.
Die Kanzlerin hat reichlich Erwartungen im Gepäck, aus der Heimat und aus Europa. Nach Trumps Wahl hatten sie viele Medien in den USA rasch als „Führerin der freien Welt“ auserkoren, könne einer wie Trump das doch kaum mehr sein. Diese Rolle wird sich Merkel kaum zu eigen machen, auch im anstehenden Wahlkampf nicht. Dass sie von Trump lernen möchte, wie man eine populistische Welle reitet, kann man ausschließen.
Die Kanzlerin stimmte den Präsidenten wenige Tage vor dem Abflug darauf ein, was für sie unverhandelbar ist: die Gemeinschaft Europas. Deutschland und die EU seien zwei Seiten derselben Medaille, Spaltungsversuche zwecklos. In der ihr eigenen Art sagte Merkel, sie werde versuchen, die Interessen der USA und eines in die EU eingebundenen Deutschlands „möglichst zu identifizieren“. Was ist diese Freundschaft noch wert? Es geht um viel an diesem Dienstag.