Alarm bei Solarworld - US-Prozess bedroht Solarfirma
Bonn/Detroit (dpa) - Der Bonner Photovoltaik-Konzern Solarworld, der sich vor zwei Jahren nur mit einem Schuldenschnitt vor dem Zusammenbruch retten konnte, ist erneut in eine schwere Krise geraten.
Der ehemalige Silizium-Lieferant Hemlock aus den USA verlangt von dem Unternehmen umgerechnet knapp 700 Millionen Euro Schadenersatz für nicht eingehaltene Lieferverträge.
Das zuständige Gericht im Bundesstaat Michigan scheint dabei der Sicht des Klägers zuzuneigen: In einer ersten Entscheidung zum weiteren Ablauf des Prozesses vom Mittwoch (Ortszeit) zerriss es die Argumente der Bonner in der Luft und bat Hemlock, seinen aktuellen Schaden und die Anwaltskosten zu beziffern - für Rechtskundige ein klarer Hinweis auf einen nahen Sieg Hemlocks in dem Verfahren. Solarworld informierte seine Aktionäre über die neue Situation, der Börsenkurs stürzte bis zum Mittag um rund zehn Prozent ab.
Worum geht es in dem Rechtsstreit?
Solarworld hatte in Zeiten des Solarbooms ab 2005 mehrere feste Lieferverträge mit Hemlock über 10 Jahre geschlossen. Das war günstig für die Bonner, solange der Weltmarktpreis stieg. 2009 rutschte der Preis aber unter anderem durch chinesische Billigangebote dramatisch ab. Solarworld machte plötzlich Verluste mit seinen Langfrist-Kontrakten. Nachverhandlungen zu den Abnahmepreisen brachten keinen dauerhaften Erfolg. Hemlock pochte auf die Einhaltung der Verträge und erhob schließlich 2013 Schadenersatz-Klage.
Was sagt Solarworld zu seiner Verteidigung?
Das wichtigste Argument lautet, die chinesischen Dumpingpreise hätten den Markt komplett durcheinandergewirbelt und die Einhaltung der Vereinbarungen „unpraktikabel“ gemacht. So hatte in einem früheren Prozess in den USA schon einmal der Druckerhersteller Kyocera seine Haltung begründet - und damit eine Bauchlandung hingelegt.
In beiden Fällen seien „take or pay“-Preise vereinbart worden, betonte das Gericht - und das bedeute, dass die Ware auf jeden Fall bezahlt werden müsse, auch wenn Solarworld wegen des abgestürzten Marktes gar nicht mehr so viel Silizium benötigt und abgenommen habe. Auch andere Argumente der Bonner zu angeblichen mündlichen Absprachen neben den Lieferverträgen oder einem „Stopp-Abkommen“ wies das Gericht in den USA als nicht klar nachvollziehbar zurück.
Wie geht es jetzt weiter?
Das Gericht hat Hemlock gebeten, bis zum 22. Juli seinen Schaden und die Anwaltskosten konkret zu beziffern. Dann wird mit einer baldigen Entscheidung gerechnet.
Wie gefährlich ist das für Solarworld?
Eine Entscheidung gegen Solarworld hätte - wenn sie vollstreckt wird - „erhebliche negative Auswirkungen auf die Liquiditätslage der Gesellschaft bis hin zur Bestandsgefährdung“, heißt es im Solarworld-Geschäftsbericht. 700 Millionen Euro sind ein Vielfaches der aktuellen flüssigen Mittel. Eine Kapitalerhöhung, um Schadenersatz zu bezahlen, dürfte auf wenig Gegenliebe der Aktionäre stoßen, die noch 2013/14 beim Schuldenschnitt teils 95 Prozent ihres Geldes verloren hatten.
Was kann Solarworld jetzt machen?
Zunächst setzt das Unternehmen weiter auf den Rechtsweg. Für den Fall einer Niederlage in erster Instanz kündigte Solarworld bereits Berufung an. Außerdem setzt man darauf, dass eine mögliche Entscheidung gegen Solarworld in Deutschland nicht vollstreckt werden könnte. Darüber müsste noch einmal ein deutsches Gericht entscheiden.
Gibt es außer jahrelangen Prozessen mit ungewissem Ausgang keine andere Lösung?
Solarworld-Chef Frank Asbeck gilt als hervorragender Verkäufer und Verhandler. Dieses Pfund müsse er jetzt zu Vergleichsverhandlungen mit Hemlock nutzen, rät der Wirtschaftsprofessor und Aktionärsvertreter Roland Klose von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Leichter geworden sei es aber nicht für Solarworld, das 2016 eigentlich endlich wieder schwarze Zahlen versprochen hatte: „Der Weg der Gesundung ist jetzt noch steiniger.“