Einzelhandel Amazon – Fluch und Segen für den Handel
Düsseldorf · Handelsverband HDE sieht nachlassende Stimmung im Einzelhandel. Die Händler, die auch den Internet-Vertrieb nutzen, sind optimistischer – auch wenn sie von den großen Plattformen abhängig sind.
Der Trend im Einzelhandel könnte deutlicher kaum sein. Während die stationären, also die in den Ladengeschäften gemachten Umsätze nach Erwartungen des Handelsverbands Deutschland (HDE) im Jahr 2018 um 1,2 Prozent steigen werden, steht bei den Onlineumsätzen nach der Prognose ein Plus von zehn Prozent. Der Umsatz im Onlinehandel wird damit in diesem Jahr auf 53,4 Milliarden Euro wachsen – von gut 523 Milliarden Euro insgesamt.
Der Online-Handel bleibt also Wachstumstreiber für die gesamte Branche. „Auch immer mehr stationäre Händler profitieren vom Online-Boom“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth am Donnerstag in Düsseldorf bei Vorstellung der Ergebnisse einer Umfrage seines Verbands unter 1000 Handelsunternehmen. „Sie eröffnen eigene Online-Shops oder verkaufen auf Online-Plattformen und Marktplätzen.“ So habe ein Viertel der stationären Händler mittlerweile einen Online-Shop, 15 Prozent verkauften Waren über Online-Marktplätze. Der Internetvertrieb werde für viele Unternehmen immer wichtiger. Fast jeder fünfte Betrieb verkaufe über zehn Prozent seiner Waren im Internet. „Fast zwei Drittel der Unternehmen rechnen mit steigenden Onlineerlösen im laufenden Jahr“, so Genth weiter.
65 Prozent der Händler verkaufen nicht übers Netz
Trotzdem scheint das Online-Geschäft vielen Händlern weiterhin nicht ganz geheuer zu sein. 65 Prozent der stationären Händler sagten in der Umfrage des HDE, sie nutzten den Vertriebsweg Internet gar nicht. 25 Prozent haben einen eigenen Internet-Shop und 15 Prozent vertreiben ihre Ware neben dem Verkauf in ihrem Ladengeschäft zusätzlich über sogenannte Marktplätze im Internet. Dabei machen das die meisten über ebay (52 Prozent), gefolgt von Amazon (39 Prozent) und lokalen Marktplätzen (37 Prozent). Dies sind deshalb in Summe mehr als 100 Prozent, weil für die Händler in der Umfrage Mehrfachnennungen möglich waren.
Insgesamt wird bereits fast die Hälfte (46 Prozent) des gesamten Online-Umsatzes in Deutschland über Amazon generiert. Davon 25 Prozent über den Marketplace – also die Plattform des Onlinehändlers, auf der viele kleine und große Händler ihre Waren anbieten. Interessant dabei: Fast die Hälfte dieses Umsatzes auf Amazon Marketplace kommt von klassischen stationären Händlern. (Die anderen Anbieter sind hier reine Internetanbieter oder auch Hersteller.) Gerade die Händler, die hier mitmachen, so Genth, schauten wesentlich optimistischer in die Zukunft als diejenigen, die nicht diesen zusätzlichen Vertriebsweg wählen.
Was macht Amazon mit den Datensätzen der Händler?
Dass jedoch Geschäfte, die die stationären Händler über den Amazon Market Place abwickeln, Fluch und Segen sein können, erklärt Genth so: „Der Segen ist, den Kundenkontakt zu bekommen und den Service bei der Logistik und Zahlungsabwicklung.“ Amazon und Co. seien nun mal das Nadelöhr im Kontakt zum Verbraucher. Ohne diese habe der einzelne Händler kaum eine Chance, über das Internet wahrgenommen zu werden. Händler seien von solchen Marktplätzen abhängig, wenn sie im Internet erfolgreich sein wollen.
Doch da ist auch der Fluch, den Genth vorsichtig in Frageform formuliert: „Was macht ein Marktplatz eigentlich mit all den Daten, die er erhält – insbesondere dann, wenn er wie Amazon auch noch selbst Waren verkauft?“ Amazon sei schließlich selbst einer der größten Internet-Einzelhändler in Deutschland. „Nutzt Amazon die Datensätze der Händler, um das eigene Geschäft zu verbessern?“, fragt Genth. Das müsse im Sinne der Chancengleichheit geklärt werden. Er begrüßt daher die Worte von EU-Kommissarin Margrethe Vestager, die ein Auge darauf hat, „was mit den Daten geschehe, die Amazon von den vielen kleineren Händlern erhalte“. Wenn sie genutzt würden, um den Service für die Einzelhändler zu verbessern, sei das legitim, sagte die EU-Kommissarin, äußerte aber auch den Verdacht, dass die Daten auch genutzt werden, „um selbst zu analysieren, was die Leute wollen, was das nächste große Ding sein wird“.
Die „Anschaffungsneigung“ des Verbrauchers geht leicht zurück
Insgesamt so Genth, lasse die Stimmung im Einzelhandel leicht nach, weise aber nach wie vor einen positiven Saldo aus. Dabei gehe die Schere zwischen großen und kleineren Unternehmen weit auseinander. Der Mittelstand blicke deutlich pessimistischer in die Zukunft als größere Händler. Die Umsätze der Branche stiegen im ersten Halbjahr nominal um knapp drei Prozent. Der Einzelhandel insgesamt werde seine Erlöse 2018 nach Prognose des HDE um zwei Prozent auf über 520 Milliarden Euro steigern.
Dass die Stimmung im Handel insgesamt nicht so großartig ist, spiegle wider, was der Verbraucher empfinde. Der private Konsum, der im laufenden Jahr um 1,4 Prozent zulegen werde, sei zwar Treiber der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Aber trotz zurückgehender Arbeitslosigkeit und Lohnsteigerungen gebe es beim Verbraucher eine rückläufige Anschaffungsneigung und eine positive Sparquote. Nebenbei: Wenn die Wirtschaftsexperten sagen, dass die Menschen mehr sparen, sprechen sie von „Konsumverweigerungsquote“. Grund für das Verhalten der Konsumenten, so Genth, sei weniger eine Verschlechterung der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation als eine „diffuse politische Stimmungslage“.
Kauf- und Warenhäuser in der City – hat das noch Zukunft?
Mit Blick auf das Zusammengehen von Karstadt und Kaufhof gibt sich Genth vorsichtig optimistisch. Der HDE glaube weiterhin an die Vertriebsform des Kauf- und Warenhauses, „wenn ein vernünftiges Konzept dahinter steht“. In England etwa hätten die Kaufhäuser trotz eines größeren Anteil des Onlinehandels noch eine „dominante Funktion“. Darum glaube er, dass das auch in Deutschland funktioniere. Kaufhäuser hätten eine hohe Bedeutung für die Innenstadt, die auch für andere Händler in den umliegenden Geschäften eine ausstrahlende Wirkung hätten, „weil sie nach wie vor Magnetwirkung haben“. Da seien noch positive Impulse zur Aufwertung von Standorten in den Innenstädten möglich.
Nicht nur die Ware, sondern auch Dienstleistung verkaufen
Handelsexperte Genth betont, dass sich die Branche durch die Digitalisierung auch in Zukunft weiter verändern werde. Gleichzeitigkeit weist er auf die Bedeutung zusätzlich von Händlern angebotener Dienstleistungen an. „Es geht darum, nicht nur den Fernseher zu verkaufen, sondern diesen in das Netzwerk beim Kunden einzubinden. Das ist doch die Chance, nicht nur eine Ware isoliert zu verkaufen, sondern auch eine Dienstleistung.“ Der Preis sei für den Kunden immer noch ein wichtiger Faktor, aber eben nicht der alleinige.