Atomkonzerne wollen bis zu 15 Milliarden Schadenersatz
Berlin (dpa) - Die Energiekonzerne fordern von der Bundesregierung bis zu 15 Milliarden Euro Schadenersatz für die Abschaltung ihrer Atomkraftwerke. Allein die Forderungen von RWE und Eon belaufen sich auf zehn Milliarden Euro, hieß es am Mittwoch aus Konzernkreisen.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) sprach von Gesamtforderungen in Höhe von rund 15 Milliarden Euro. Denn es könnten noch weitere Forderungen für die deutliche Verkürzung der Laufzeiten bei den restlichen Meilern hinzukommen. Unklar ist zudem, wie viel der schwedische Konzern Vattenfall für das Abschalten seiner Meiler Krümmel und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein geltend machen will.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rechnet nicht mit einem Erfolg der Klagen. „Die Bundesregierung hat keinerlei Zweifel, dass das Atomgesetz völlig verfassungsgemäß ist“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter am Mittwoch in Berlin. „Selbstverständlich bleibt es jedem betroffenen Unternehmen unbenommen, eine gerichtliche Überprüfung anzustreben.“
Wie Eon will auch RWE zunächst vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geklärt wissen, ob eine Grundrechtsverletzung vorliegt. „Wenn ja, werden im nächsten Schritt konkrete Summen genannt“, sagte ein RWE-Sprecher der dpa. Erst in einem zweiten Schritt würde dann vor Zivilgerichten um Schadenersatz gestritten. Ein Sprecher des Justizministeriums betonte, bis zur Entscheidung über solche Verfassungsbeschwerden könnte es zwei Jahre dauern. Die Börsenkurse von RWE und Eon legten am Mittwoch um bis zu zwei Prozent zu.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe will laut „FAZ“ in Kürze die Beschwerde an die Regierung, den Bundestag sowie an 63 weitere Institutionen zur Stellungnahme verschicken - vom Bundesverband der Deutschen Industrie bis hin zur Umweltorganisation Greenpeace.
Ralf Güldner, Präsident des Deutschen Atomforums sagte der dpa: „Die Schritte des Bundesverfassungsgerichts scheinen zu belegen, dass die Rechtspositionen der beiden klagenden Unternehmen vom Gericht ernst genommen werden.“ Beide Unternehmen engagierten sich ausdrücklich für die Energiewende. „Doch der gesetzliche Rahmen des beschleunigten Atomausstiegs verletzt verfassungsmäßige Rechte der Unternehmen. Daher sind sie verpflichtet, Schaden für ihre Eigentümer und Belegschaften abzuwenden“, betonte Güldner.
Der Stromkonzern Vattenfall prüft, sich der Klage anzuschließen. „Wir werden in Kürze eine Entscheidung darüber treffen“, sagte eine Sprecherin. Sie wollte sich nicht zur Höhe des Schadens äußern, der entstanden ist. Parallel treibt der schwedische Konzern eine Klage beim Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten in Washington voran. Der Energieversorger EnBW, an dem das grün-rote regierte Baden-Württemberg beteiligt ist, prüft noch, ob man auf Schadenersatz wegen des Atomausstiegs klagt. „Wir bereiten eine Entscheidung dazu vor, wie diese ausfällt, ist aber völlig offen“, sagte ein Sprecher in Karlsruhe. Die Frist für mögliche Klagen laufe bis Anfang August.
Über die Verfassungsbeschwerden dürfte nicht vor der Bundestagswahl 2013 entschieden werden. Schon im vergangenen Jahr waren juristische Bedenken geäußert worden, weil zum Beispiel das 1983 ans Netz gegangene Kraftwerk Krümmel nicht wie die anderen sieben abgeschalteten Anlagen zu den ältesten Meilern gehört und zudem die unterschiedlichen Abschaltdaten für die restlichen neun Meiler Fragen aufwerfen. Der frühere Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit im Umweltministerium, Wolfgang Renneberg, sagte 2011 im Umweltausschuss des Bundestags dazu: „Diese unterschiedlichen Laufzeiten werden im Gesetzentwurf nicht weiter begründet. Hier liegt das Problem.“
Grüne und SPD kritisierten die Energieunternehmen scharf, warfen der Bundesregierung aber auch vor, Klagen nicht ausreichend durch Verhandlungen verhindert zu haben. „Mit ihren dreisten Forderungen werden die Atomkonzerne nicht durchkommen, denn es gibt keinen Grundrechtsanspruch auf Gewinnerwartung und Extraprofite“, sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin.
SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber warnte vor Belastungen für die Steuerzahler. „Die Fehler einer schlechten Bundesregierung und von schlechten Managern dürfen nicht von der Allgemeinheit ausgebadet werden“, sagte Kelber.