Bericht: USA weiten VW-Ermittlungen aus
Wolfsburg/New York (dpa) - Die Liste der Vorwürfe wächst weiter: Der Abgas-Skandal droht sich für Volkswagen in den USA zu einem immer größeren Krisenherd auszuwachsen, und auch daheim gibt es neues Ungemach.
Das bereits seit längerem gegen den deutschen Autobauer ermittelnde US-Justizministerium habe seine Untersuchungen inzwischen auf den Verdacht des Bankbetrugs und mögliche Verstöße gegen Steuergesetze ausgedehnt, berichtete das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf eingeweihte Quellen. Zudem erwägt eine Tochter des Versicherungskonzerns Allianz, sich wegen der Diesel-Affäre an einer Sammelklage gegen VW zu beteiligen.
Zur drohenden Ausweitung der Ermittlungen in den Vereinigten Staaten wollte sich ein Sprecher des Justizministeriums in Washington auf Nachfrage nicht äußern. Ein VW-Sprecher sagte am Mittwoch nur, dass das Unternehmen weiter mit allen relevanten Behörden kooperiere. Auch daheim in Deutschland hatte die Staatsanwaltschaft nach und nach ihre Untersuchungen auf neue mögliche Tatbestände ausgeweitet.
Aus VW-Aufsichtsratskreisen gab es zunächst auch keine Bestätigung für den Vorgang in den USA. Doch übereinstimmend hieß es, es sei letztlich kaum überraschend, dass die US-Juristen alle Register zögen. Es sei gängige Praxis, dass beide Seiten viel Munition für ihre Argumentationsketten vorbereiteten, um sie bei einem womöglich anstehenden Vergleich oder Prozess in die Waagschale zu werfen.
Die Anwendung eines eigentlich für die Finanzbranche vorgesehenen US-Gesetzes könnte für den deutschen Konzern zusätzliche Strafen bedeuten. Die Ermittler prüfen dem Medienbericht zufolge, ob Kreditgeber durch Manipulationen von VW bei der Autofinanzierung gefährdet wurden.
Betroffene Fahrzeuge mit überhöhten Abgaswerten waren ursprünglich als umweltfreundlich vermarktet worden und haben durch die Affäre erheblich an Wert verloren. Zudem soll untersucht werden, ob VW für Steuergutschriften haftbar ist, die US-Autokäufer für den vermeintlich geringen Abgas-Ausstoß erhalten haben.
Volkswagen hatte im September 2015 nach Vorwürfen der US-Umweltbehörde EPA eingeräumt, Hunderttausende Dieselwagen in den USA mit einer Betrugs-Software zum Austricksen von Emissionstests ausgerüstet zu haben. Dem Konzern droht durch eine Zivilklage der Regierung dort bereits eine Strafe in zweistelliger Milliardenhöhe.
Betriebsratschef Bernd Osterloh hatte am Dienstag bei einer Betriebsversammlung im VW-Stammwerk Wolfsburg vor drastischen Konsequenzen gewarnt: „Sollte die Zukunftsfähigkeit von Volkswagen durch eine Strafzahlung in bislang einmaliger Höhe nachhaltig gefährdet werden, wird dieses auch dramatische soziale Folgen haben - nicht nur an unseren US-amerikanischen Standorten, sondern auch in Europa und anderswo.“ Neben dem Justizministerium gehen mehrere US-Bundesstaaten und viele Zivilkläger gegen VW vor.
Niedersachsens Regierungschef und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD) warnte bei der Betriebsversammlung: „Wir werden in diesem Jahr immer mal wieder mit unangenehmen Nachrichten im Zusammenhang mit „Dieselgate“ konfrontiert werden.“ Weitere Details nannte er nicht.
Anders als daheim ist ein Plan für die Nachbesserungen an den etwa 600 000 manipulierten US-Wagen noch nicht unter Dach und Fach.
VW hat wegen der Krise diverse juristische Baustellen, es drohen Milliardenkosten. So klagen Aktionäre, weil VW angeblich zu spät über den Abgas-Skandal informiert hat. Ein Sprecher der Allianz-Tochter Vermögensverwaltung Allianz Global Investors (AGI) sagte am Mittwoch in Frankfurt, man müsse prüfen, „ob unsere Anleger geschädigt worden sind und wir dann dementsprechend Schritte einleiten“. Er bestätigte damit Medienberichte. Die AGI hält 0,06 Prozent an dem Wolfsburger Autokonzern. Dem Vernehmen nach werden sich auch andere Fonds an der möglichen gemeinsamen Klage beteiligen. VW weist die Vorwürfe zurück.
Wie die „Rheinische Post“ (Mittwoch) schreibt, tun sich auch in Europa immer mehr VW-Kunden für eine Großklage gegen den Autobauer zusammen. Der Anwalt Julius Reiter sagte der Zeitung, dass die Zahl der Teilnehmer seit Januar von 60 000 auf rund 80 000 zugenommen habe - darunter besonders viele Autobesitzer aus Österreich. Weil es in Deutschland keine förmlichen Sammelklagen wie etwa in den USA gibt, läuft das Verfahren über eine in den Niederlanden sitzende Stiftung.
Schlechte Nachrichten für VW gab es am Mittwoch auch aus Indien. Dort sieht sich VW mit Vorwürfen zu Steuerhinterziehung und Kampfpreisen konfrontiert. So soll der Autobauer innerhalb seines Firmengeflechts auf dem Subkontinent Verkaufs- und Verbrauchssteuern falsch berechnet und damit Millionen am Fiskus vorbeigeschleust haben. Zudem soll VW Autos im großen Stil unter Herstellungspreis verschleudert haben. Die indische VW-Tochter werde gegen eine Anordnung der Steuerbehörde auf Nachzahlung vorgehen, erklärte ein Sprecher des Unternehmens in Pune.