Firmen fürchten um guten Ruf Der Trend geht zur Shitstorm-Versicherung für Unternehmen
München (dpa) - Die Angst vor Skandalen beschert der Versicherungsbranche ein neues Geschäft: Schutz gegen den Shitstorm. Nach der Munich Re und großen US-Versicherern steigt nun auch der europäische Marktführer Allianz mit einer Anti-Skandal-Versicherung in das Geschäft mit dem „Reputationsschutz“ ein.
Die Policen decken Umsatzverluste ab, die Firmen durch rufschädigende Krisen erleiden. Außerdem enthalten: professionelle Beratung für das Krisenmanagement. „Wir wollen unsere Kunden vor, während und nach der Krise unterstützen“, sagt Martin Zschech von der Allianz-Gesellschaft AGCS, die die großen Firmenkunden des Münchner Konzerns betreut.
Die Angst vor dem Skandal steigt offensichtlich in den Chefetagen rund um den Globus: Laut alljährlichem „Risikobarometer“ der Allianz hatte 2013 gut jedes zehnte Unternehmen Sorgen vor „Reputationsschäden“, 2018 war es bereits fast jedes achte. In die alljährliche Umfrage fließen die Einschätzungen von gut 1900 Risikoexperten aus 80 Ländern ein.
In früheren Jahrzehnten waren es in der Regel Ermittler oder Journalisten, die Skandale ans Tageslicht brachten. Inzwischen bricht sich häufig in den sozialen Netzwerken Empörung Bahn, bevor Medien - oder Staatsanwälte - ein Thema aufgreifen. Zudem machen es die sozialen Netzwerke nahezu unmöglich, kompromittierende Nachrichten unter der Decke zu halten.
„Fast 70 Prozent der Krisen verbreiten sich innerhalb von 24 Stunden international“, sagte Natali Brandes, eine auf Unternehmenskrisen spezialisierte Fachfrau bei CNC Communications - das Beratungsunternehmen kooperiert mit der Allianz.
Doch Versicherungen nehmen die hässlichen Wörter „Skandal“ oder „Shitstorm“ ungern in den Mund. Die Branche bevorzugt weniger schmerzliche Begriffe: „Medienereignis“ etwa, oder „negative Berichterstattung“.
Die Munich Re bietet ihre Reputations-Policen seit 2012 an „Zunächst waren aber Cyberrisiken das beherrschende Thema, eine gesteigerte Nachfrage nach dem Reputationsschutz gibt es vor allem seit 2015/16“, sagt Managerin Ulrike Raible. „Mit einer steigenden Zahl von reputationsrelevanten Ereignissen steigt auch die Nachfrage nach entsprechenden Versicherungslösungen.“
Die Verträge würden nach den Bedürfnissen des jeweiligen Kunden maßgeschneidert, sagt Raible. „Wir arbeiten im Bereich Reputationsschutz bislang vor allem mit den großen Kunden, das Interesse wächst aber auch bei Startups und kleineren Unternehmen.“
Nicht versicherbar sind allerdings Straftaten in der Chefetage: „Wenn jemand straffällig geworden ist, werden wir das nicht abdecken“, sagt Allianz-Manager Zschech. Zum VW-Dieselskandal schweigt die Versicherungsbranche höflich.
Die Folgen eines Skandals können über Umsatzverluste weit hinaus gehen. Dazu zählen etwa sinkender Unternehmenswert, fallender Börsenkurs oder die Abwanderung von Top-Managern. Das sagt Martin Vollbracht von Media Tenor International, einer auf Medienanalysen spezialisierten Schweizer Unternehmensberatung, mit der die Allianz kooperiert. Zu den typischen Gefahren für den guten Ruf zählen Hackerangriffe oder Datenschutzverstöße.
Doch wie bewertet man den guten Ruf eines Unternehmens in Euro und Cent? „Für unsere Versicherungslösung messen wir vor allem die Auswirkungen auf den jeweiligen Umsatz“, sagt Raible von der Munich Re. „Da gibt es häufig einen direkten Zusammenhang: Wenn es einen Skandal gibt, bricht der Umsatz ein - und dann greift unsere Versicherung.“ Ähnlich handhabt es auch die Allianz.
Andere sind vorsichtiger. Der Industrieversicherer HDI Global etwa bietet Reputationsschutz als Baustein anderer Verträge an - nicht aber als eigenständige Police. „Versicherer und Versicherungsnehmer benötigen für den Schadenfall einen Gradmesser für den entstandenen Schaden, also beispielsweise für einen Umsatzeinbruch. Dieser Gradmesser fehlt bislang“, sagt Philipp Lienau, Produktmanager für Vermögensschadenhaftpflicht und Cyber bei HDI Global.
„Es ist sehr schwer bis nahezu unmöglich, einen Umsatzrückgang auf ein singuläres Ereignis - zum Beispiel einige Berichte in Zeitungen - zurückzuführen“, sagt Lienau. „Auch der Aktienkurs eines Unternehmens kann aus verschiedenen Gründen sinken.“
Doch wegen steigender Nachfrage werden in Zukunft wohl noch mehr Versicherer Skandal-Policen anbieten. Weniger Skandale sind jedenfalls nicht zu erwarten. Ein Indiz: Medienwissenschaftler haben mittlerweile das neue Forschungsgebiet „Skandalogie“ erfunden.