Energiewende: Industrie befürchtet Riesenbelastung

Berlin (dpa) - Unternehmen mit hohem Energieverbrauch sehen wegen des beschleunigten Atomausstiegs Risiken für die Zukunft des Industriestandorts Deutschland. Sie rechnen mit massiven Belastungen bei steigenden Strompreisen und bangen um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Zudem gibt es Sorgen um die Versorgungssicherheit, wie eine dpa-Umfrage ergab. Verlagerungen von Standorten und Investitionen ins Ausland sind möglich. Zu den Branchen, die viel Energie verschlingen, zählen zum Beispiel die Papierindustrie, die Metallbranche, die Auto- und Chemieindustrie sowie die Stahlindustrie.

Deutschlands größter Stahlkonzern ThyssenKrupp geht aufgrund steigender Strompreise bis 2015 mit jährlichen Kostensteigerungen von bis zu 300 Millionen Euro aus. „Die Energiewende bietet für die Industrie Chancen, aber durch die beschlossene Vorgehensweise bestehen erhebliche Risiken für die internationale Wettbewerbsfähigkeit“, sagte ein Sprecher. ThyssenKrupp sieht zudem ein Risiko für die Versorgungssicherheit: „Es besteht die Gefahr, dass die Stromnetzstabilität durch die dauerhafte Abschaltung von Kernkraftwerken mit den bestehenden Kapazitäten nicht aufrechterhalten werden kann.“

Auch der Stahlproduzent Saarstahl sieht hohe Belastungen. „Tatsache ist, dass die Energiekosten seit dem Jahr 2004 um 150 Prozent gestiegen sind“, sagte Vorstandschef Klaus Harste. „Politische Vorgaben, wie das Erneuerbare-Energien- und das CO2-Gesetz, verschärfen zusätzlich die Kosten-Situation. Kommen nun auch noch steigende Strompreise hinzu, erreichen Unternehmen wie Saarstahl die Grenze dessen, was sie finanziell verkraften können.“

Ein Sprecher von ArcelorMittal sagte, der Standort Deutschland bleibe für den Stahlhersteller nach wie vor interessant. Dafür brauche das Unternehmen aber wettbewerbsfähige Bedingungen, um gegenüber Konkurrenten außerhalb Deutschlands und der EU bestehen zu können. „Bei weiter steigenden Energiekosten sinkt unsere Wettbewerbsfähigkeit, was zur Verlagerung von Investitionen führen kann.“

Der weltgrößte Chemiekonzern BASF rechnet damit, dass durch die Energiewende „ein höheres Risiko von Instabilitäten“ nicht zu vermeiden sei. Derzeit fehlten noch Kapazitäten im Transportnetz und Speichertechnologien, sagte ein Sprecher. Das Unternehmen rechnet in den kommenden Jahren mit einem weitere Anstieg der Strompreise. „Strompreisverteuerungen könnten stromintensive Prozesse in der Chemie unwirtschaftlich machen“, sagte der Sprecher - etwa die Herstellung von Basischemikalien wie Chlor oder Natronlauge. „Diese Stoffe sind Teil einer integrierten Wertschöpfungskette, die dann Gefahr läuft, langfristig verlagert zu werden.“

Belastungen erwartet auch der Aluminiumproduzent Trimet: „Der Atomausstieg wird mit Sicherheit Auswirkungen auf den Strompreis haben“, sagte Firmensprecher Matthias Scheben in Essen. „Wenn der Preis um einen Cent je Kilowattstunde steigt, entstehen für uns jährliche Zusatzkosten in Höhe von 50 Millionen Euro.“ Für ein Mittelstandsunternehmen sei das kaum bezahlbar.

Ein Sprecher des Sportwagenbauers Porsche sagte: „Wir haben langfristige Verträge mit Energieversorgern. Wir sind sicher, dass diese Partner uns auch in Zukunft stabil versorgen werden. Außerdem habe der Sport- und Geländewagenbauer im Stammwerk Stuttgart-Zuffenhausen eine eigene Strom- und Wärmeversorgung. „Damit können wir uns zu einem wesentlichen Teil versorgen.“

Mit einer Verlagerung von Investitionen ins Ausland drohte der größte europäische Kupferkonzern Aurubis. Das Gesetzespaket der Regierung stelle nicht sicher, dass Strom für Aurubis sicher und bezahlbar bleibe, hatte Vorstandschef Bernd Drouven kritisiert. Auch der Chef des Energieriesen RWE, Jürgen Großmann, hatte vor einer Abwanderung von Industriezweigen gewarnt.

Der vorgezogene Atomausstieg kostet die Industrie jedes Jahr fast zwei Milliarden Euro durch höhere Stromkosten, hatte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) jüngst berechnet.