Herbst fordert Stromnetz heraus

Viel Windkraft kann die Leitungen schnell überlasten. Deshalb müssen Kraftwerke zügig abgestellt werden.

Essen. Ein Goldener Oktober mit Sonnenschein von morgens an oder Herbststürme mit hohen Windgeschwindigkeiten — das Wetter ist für Deutschlands Versorger und Netzbetreiber viel mehr als ein Konversationsthema. Es bestimmt, wie viel Strom Windparks und Solaranlagen produzieren.

Seit dem enormen Zuwachs der Anlagen auf inzwischen rund 65 Gigawatt installierte Leistung — so viel wie 60 Atomkraftwerke — sind zielgenaue Wetterprognosen zum unentbehrlichen Instrument für die Energiehändler und Netzmanager geworden. Falsche Vorhersagen können viel Geld kosten und sogar die Netzstabilität belasten. Das gilt besonders in den wechselhaften Jahreszeiten wie jetzt im Herbst.

„Wenn zum Beispiel bei bombigem Hochdruckwetter und hohem Sonnenstand auch noch eine Warmfront 15 000 Megawatt Wind draufsetzt, dann sind sie schnell bei 35 000 Megawatt Erneuerbaren“, sagt der Chef der Wetterprognose-Abteilung beim Versorger RWE, Eric Stein. Kommt so viel zusätzlicher Strom überraschend, stürzen die Preise ab, weil die Händler in einen übersättigten Markt verkaufen müssen und die Netze ächzen unter dem schlagartigen Stromzuwachs. „Wenn die Prognose das vorher nicht gesehen hat, dann wird es eng.“

Ein Beispiel war der Einheitstag vergangene Woche: Bei feiertagstypisch geringem Verbrauch sorgte starke Sonneneinstrahlung für bis zu 21 Gigawatt Solareinspeisung um die Mittagszeit. Zugleich verstärkte sich am Nachmittag der Wind bis auf 17 Gigawatt in der Spitze.

Die Netzmanager mussten reihenweise konventionelle Kraftwerke abschalten, weil zu viel Strom ins System drängte, berichtet der Geschäftsführer des privaten Prognoselieferanten „energy & meteo systems“, Matthias Lange. Die Preise seien leicht ins Negative gefallen.

Das heißt, Käufer bekamen den Strom nicht nur zum Nulltarif, sondern sogar noch Geld für die kostenlose Lieferung dazu. Der Markt war allerdings gewarnt: Die extreme Erzeugungsspitze sei ziemlich treffsicher vorhergesagt worden, sagt Lange.

Die Stromkonzerne und Netzbetreiber haben wegen solcher Szenarien ihre Wetterprognose-Abteilungen ausgebaut. Die Wetterfrösche geben Kurzfrist-Prognosen für das Management des Netzes und Langfristeinschätzungen etwa zum bevorstehenden Winter für die Energiehändler.

In Steins Abteilung kümmern sich schon fünf Meteorologen um das Thema, ein sechster wird gerade eingestellt. RWE wertet dabei ein halbes Dutzend verschiedene Wettermodelle der europäischen und des US-Wetterdienstes sowie privater Anbieter aus und gewichtet sie nach langjährigen Erfahrungswerten.

Dank der starken Datenzunahme durch Satelliten- und Radarmessungen, Wettermelder in Verkehrsflugzeugen und des beschleunigten globalen Austausches hat sich die Qualität der Vorhersagen in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Bei der Windprognose für den nächsten Tag liegt die Fehlerquote nur noch bei zwei bis fünf Prozent, sagt Stein.