Italien verabschiedet „Blut-und-Tränen“-Sparpaket
Rom (dpa) - Italiens Regierung verschärft im Kampf gegen die Schulden- und Wirtschaftskrise ihren drastischen Sparkurs. Das im Eiltempo vom Kabinett unter Silvio Berlusconi verabschiedete Spar- und Wachstumspaket über 45,5 Milliarden Euro soll zügig umgesetzt werden.
Staatspräsident Giorgio Napolitano hat es unterzeichnet, der Senat beginnt am 22. August damit, das Gesetzesdekret abschließend zu beraten. Die linke Opposition will bei aller Kritik konstruktiv mitarbeiten.
Berlusconi sprach am Samstag von europäischer Anerkennung für Italiens Maßnahmen, so auch durch Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Keine Regierung eines EU-Landes hätte es besser gemacht“, meinte er. Seiner Mitte-Rechts-Regierung sagte er einen guten Kurs bis zu den nächsten regulären Parlamentswahlen im Frühjahr 2013 voraus. Das am Freitag verabschiedete Maßnahmenbündel soll dafür sorgen, dass das höchst verschuldete Italien bereits 2013 einen ausgeglichenen Etat vorweisen kann. So will das Land aus der Schusslinie der Finanzmärkte kommen und Forderungen der Europäischen Zentralbank (EZB) erfüllen.
Zusammen mit dem ersten Sparpaket vom Juli über 48 Milliarden Euro haben die geplanten einschneidenden Kürzungen einen Umfang von mehr als 90 Milliarden Euro. „Uns blutet das Herz“, sagte Berlusconi am Freitag nach den abendlichen Beschlüssen. „Diese Regierung war stolz darauf, bisher nicht in die Taschen der Italiener gegriffen zu haben, aber die Situation in der Welt hat sich verändert“, fügte er an. Berlusconi hatte in seiner Karriere als Politiker mehrere Wahlen mit der Ankündigung gewonnen, die Italiener nicht finanziell belasten zu wollen.
Jetzt sollen Zusatzsteuern von 5 bis 10 Prozent für Besserverdienende mit Jahreseinkommen von mehr als 90 000 Euro sowie Einsparungen bei den Ministerien in Höhe von 8,5 Milliarden Euro Geld in die leeren Kassen spülen. Regionen, Provinzen und Kommunen werden bis zu 50 000 Stellen abbauen müssen, kleine Kommunen werden zusammengelegt. Das Rentenalter für Frauen soll früher als bisher geplant auf 65 erhöht werden. Die Tabaksteuer wird angehoben. Zudem sind höhere Steuern auf die Kapitalerträge sowie - zur Förderung der Produktivität - weniger freie Tage geplant. Vor allem Kommunen befürchten soziale Einschnitte.
Den Ernst der Lage betonte EU-Energiekommissar Günther Oettinger: Die Währungsunion würde einen Zahlungsausfall Italiens wohl nicht verkraften. „Eine italienische Staatspleite würde die Eurozone „wahrscheinlich“ sprengen, weil Italien dann als Geberland des Europäischen Rettungsfonds EFSF ausfallen würde, sagte Oettinger dem „Handelsblatt“ (Montag). Der Kommissar sprach sich dennoch strikt dagegen aus, das Volumen des EFSF über die geplanten 440 Milliarden Euro hinaus weiter zu erhöhen: „Der Fonds reicht für Portugal, Griechenland und Irland problemlos aus und hat darüber hinaus noch reichlich Kapazitäten“, sagte Oettinger. Allerdings könne man prüfen, ob der EFSF sich bei der Europäischen Zentralbank die nötigen finanziellen Mittel für seine Interventionen besorgen könne.
Finanzminister Giulio Tremonti hatte Italien auf die drastischen Sparmaßnahmen und Reformen vorbereitet. Italiens Medien sprechen von einem „Blut-und-Tränen“-Paket gegen die Krise. In Rom ist von einem Zerwürfnis zwischen Tremonti und Berlusconi die Rede: Berlusconi hat die Arbeit am Sparkurs weitgehend in die eigene Hand genommen. Der Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, hatte neben Spanien Italien aufgefordert, rascher zu „normalen“ Haushaltsbedingungen zu kommen.
Ein Gesetzesdekret muss innerhalb eines Monats vom Parlament in Rom behandelt werden. Die Regierung will bereits im Jahr 2013 einen ausgeglichenen Staatshaushalt vorlegen und dies in der Verfassung verankern. Dass das zweite Paket nötig wurde, erklärte Finanzminister Tremonti mit der dramatischen Verschärfung der Lage: Seit der Arbeit im Juni an dem ersten italienischen Sparpaket „hat die Krise einen anderen Verlauf genommen und ist noch nicht zu Ende“, warnte er.
Italiens Mitte-Rechts-Regierung wollte den ausgeglichen Staatsetat ursprünglich 2014 schaffen, drückt nun aber aufs Tempo. Dafür stimmte sich Berlusconi auch eng mit dem Notenbankchef Mario Draghi und mit Staatspräsident Giorgio Napolitano ab. Wie dringend finanzpolitische Maßnahmen und Wachstumsförderung in Italien sind, zeigt der Rekord bei der Staatsverschuldung: Diese war im Juni auf 1,9 Billionen Euro gestiegen.