Kampf gegen Rohstoffspekulanten - Tausende bei Demo
Berlin (dpa) - Regierungen aus 50 Ländern haben in Berlin exzessiven Spekulationen und Preisschwankungen auf den Agrarmärkten den Kampf angesagt. Sie sehen darin eine Bedrohung für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung.
Am Rande der Grünen Woche appellierten sie an die G20-Staaten, gegen Missbrauch und Manipulation von Preisen vorzugehen.
Die EU kündigte unterdessen Schritte gegen den Absturz der Schweinefleischpreise an, den der Dioxinskandal in Deutschland ausgelöst hatte. Inzwischen fürchtet auch die Ernährungswirtschaft drastische Folgen für den Umsatz. Für Tausende Menschen gibt es nur einen Schutz gegen solche Lebensmittelskandale: Sie forderten bei einer Demonstration in Berlin eine radikale Wende in der Agrarpolitik.
Unter dem Motto „Wir haben es satt!“ verlangten die Demonstranten gentechnikfreie, gesunde und fair produzierte Lebensmittel, eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft in Europa und eine tiergerechte und klimaschonende Landwirtschaft auf der ganzen Welt. Die Veranstalter sprachen von 22 000 Teilnehmern, andere Beobachter gingen von der Hälfte aus. „Bauer bleiben, nicht Knecht der Agrarindustrie“, hieß es auf einem Transparent auf einem der zahlreichen Traktoren.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte vor den Demonstranten ein Ende der Massentierhaltung. Der Vorsitzende des Umweltorganisation BUND, Hubert Weiger, drohte: „Wir kommen wieder nach Berlin, mit doppelt so vielen Leuten, wenn die Politik nicht endlich handelt.“
Nach offiziellen Schätzungen wächst die Weltbevölkerung von derzeit 6,9 Milliarden Menschen bis 2050 auf 9,1 Milliarden. Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) warnte vor Hungerrevolten in ärmeren Ländern. „Die Ausschreitungen in Algerien und Tunesien haben ihren Grund auch in den steigenden Lebensmittelpreisen“, sagte Aigner der Nachrichtenagentur dpa.
„Wir müssen diese Preisvolatilität bekämpfen“, forderte der französische Agrarminister Bruno Le Maire mit Blick auf die weiteren Verhandlungen der Ressortchefs der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwelleländer (G20). Frankreich hat in diesem Jahr die G20-Präsidentschafft inne. „Ich hoffe, dass wir bis Ende dieses Jahres konkrete Lösungen zu dieser Frage finden.“ Zuvor hatte schon EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos Schritte gegen Spekulationen mit Agrarrohstoffen angekündigt.
In Deutschland fürchtet die Ernährungswirtschaft unterdessen die wirtschaftlichen Folgen des Dioxinskandals. „Wenn wir das nicht ganz schnell in Ordnung bringen und ganz schnell sagen können, es ist Entwarnung in Deutschland, dann gibt es einen erheblichen Absatzstau“, sagte der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Jürgen Abraham, der dpa. „Das ist eine harte Nummer.“ Der Dioxin-Skandal war durch einen Futtermittelhersteller ausgelöst worden, der Futterfett und Industriefett vermischt hat.
„Die Verbraucher meiden Schweinefleisch partiell, sie meiden Eier und sie meiden Hühner, aber nicht im ganz großen Maße“, sagte Abraham. Vor allem Schweinehalter seien betroffen. „Der Schaden insbesondere bei der Schweinezucht ist natürlich extrem. Keiner weiß, wo man mit dem Fleisch hin soll.“ Abraham hatte Mitte Januar von einem Umsatzminus bei Eiern im Vergleich zum Vorjahr von 20 Prozent, bei Schweinefleisch und Geflügel von je 10 Prozent gesprochen.
Die EU will das Schweinefleischangebot in der Gemeinschaft verknappen, um den Preis zu stabilisieren. „Wir müssen versuchen, einen Preissturz zu verhindern“, sagte Ciolos. Er schlug vor, dass die Bauern ihr Fleisch vorübergehend auf EU-Kosten einlagern und es erst verkaufen, wenn der Preis sich erholt hat.
Der Preis für deutsches Schweinefleisch war nach dem Fund von Dioxin in Futtermittel um ein Viertel gesunken. China und Südkorea haben ein Importverbot verhängt. Russland lässt deutsches Schweinefleisch nur mit Restriktionen hinein und schließt ein komplettes Importverbot nicht aus.
Das Interesse an der weltgrößten Agrarmesse Grüne Woche hat unter dem Skandal bislang nicht gelitten. Am dritten Messetag wurde die Zahl von 100 000 Besuchern überschritten. Insgesamt werden bis zum 30. Januar 400 000 Gäste erwartet.