Geplante Gesetzesreform Kartellamt fordert mehr Verbraucherschutz im Netz
Bonn (dpa) - Apps mit versteckter Kauffunktion, Datenklau über Internet-Portale und Online-Anbieter mit intransparenten Bedingungen — der Chef des Bundeskartellamts will Verbraucher gegen Abzocke im Netz besser schützen.
„Bisher muss - auch bei Massenproblemen - jeder für sich klagen“, sagte Andreas Mundt der Deutschen Presse-Agentur. „Das läuft im Einzelfall gar nicht schlecht, aber man würde mit behördlicher Durchsetzung deutlich mehr erreichen, es hätte mehr Breitenwirkung.“
Mundt unterstützt deswegen eine Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), die in Berlin diskutiert wird. Demnach könnte das Kartellamt mit zusätzlichen Befugnissen gegen Massenverstöße vorgehen, Musterverfahren führen oder auch die Rückerstattung widerrechtlicher Gewinne an die Verbraucher anordnen.
Bei der Reform gebe es noch Diskussionsbedarf, sagte Mundt. Die genaue Ausgestaltung sei offen. Es spreche aber sehr viel dafür, die neue Aufgabe wie in vielen anderen europäischen Ländern und den USA bei den Wettbewerbsbehörden anzusiedeln.
Das Bundeskartellamt kann schon jetzt beim Verdacht auf Verbraucher-Nepp im Netz einschreiten. Voraussetzung ist bisher aber, dass das verdächtigte Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung hat. „Diese zeitaufwendige Prüfung könnte nach den Plänen des Gesetzgebers künftig wegfallen“, erklärte Mundt.
Im Frühjahr 2016 hatte die Bonner Behörde ein Verfahren gegen Facebook eingeleitet. Die Prüfung dauere an, man wolle das Verfahren schnell abschließen und arbeite mit Hochdruck daran, sagte Mundt.
Das Amt untersucht, ob der Marktführer bei sozialen Netzwerken seine Marktmacht missbraucht. Die vielen persönlichen Daten in den Nutzerprofilen werden von Facebook für zielgerichtete Werbung vermarktet. Die Nutzungsbedingungen seien für die Teilnehmer aber nur schwer nachzuvollziehen, glaubt das Kartellamt. „Daten haben eine große wirtschaftliche Bedeutung. Werden diese rechtswidrig erhoben, dann kann das bei einem großen Player wie Facebook auch einen Verstoß gegen das Kartellrecht darstellen“, meinte Mundt.
In diesem Jahr hat das Bundeskartellamt wieder mit Millionenbußen unerlaubte Preisabsprachen zu Lasten der Verbraucher geahndet. Insgesamt seien Strafgelder von gut 121 Millionen Euro gegen 22 Unternehmen und fünf Manager verhängt worden, berichtete Mundt. 85 Firmenstandorte und drei Privatwohnungen wurden durchsucht.
Besonders stach dabei der Lebensmittel-Einzelhandel heraus, der seit Jahren im Fokus der Kartellwächter steht. Dort gab es nach Erkenntnissen der Ermittler nicht nur Absprachen etwa von Brauereien, Kaffee- und Süßwarenherstellern untereinander, sondern auch von Herstellern mit großen Handelsketten.
Die Marktmacht der vier dominierenden Handelsketten Edeka, Rewe, Aldi und der Schwarz-Gruppe mit den Lidl-Märkten sowie Kaufland sieht das Bundeskartellamt seit langem kritisch. Schon vor der im Dezember abgesegneten Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka hätten die vier Ketten für rund 85 Prozent des Marktes gestanden.
Dass nun mit Kaiser's Tengelmann auch der letzte Große unter den Kleinen vom Markt verschwinde, sei aus Wettbewerbssicht „nicht sehr erfreulich“, sagte Mundt. „Der Mittelstand ist nur noch Zaungast.“
Im kommenden Jahr rechne er nicht damit, dass die Verstöße und damit die Arbeit des Kartellamtes nachließen, sagte Mundt. 2016 habe es allein 53 „Bonusanträge“ gegeben, bei denen Unternehmen Informationen über Verstöße in ihrer Branche weitergeben und dafür auf eine mildere Strafe hoffen. Laufende Kartellverfahren, zu denen sich die Behörde inhaltlich nicht äußert, gibt es derzeit etwa bei Bauunternehmen, im Pharmagroßhandel und beim Stahleinkauf durch Autohersteller.
Eine Niederlage musste das Kartellamt im Herbst wegen der sogenannten Wurstlücke hinnehmen: 128 Millionen Euro Bußgeld gegen einen Fleischfabrikanten konnten nicht weiterverfolgt werden, weil die betroffenen Unternehmen nach Umstrukturierungen im Konzern nicht mehr greifbar waren. Auch in diesem Punkt setzt das Bundeskartellamt auf die Reform des GWB bis etwa Mitte 2017.