Flottenerneuerung Neue Züge, bitte! Der Bestellschein der Bahn
Berlin (dpa) - Wer drin sitzt, erkennt ihn daran, dass die Sitzreservierung an der Lehne aufleuchtet. Und dass es Platz für Fahrräder gibt sowie kaum noch Abteile: Der ICE4 ist der neue Vorzeigezug der Bahn.
Neun sind inzwischen schon mit Fahrgästen unterwegs. Auch wenn manch Reisender über Beleuchtung und Sitze schimpft - an diesem Mittwoch beginnt der Aufsichtsrat des Staatskonzerns, einen weiteren Bestellschein auszufüllen.
Mehr neue Züge, mehr neue Kunden - so hofft man im Berliner Bahntower. Trotz Milliarden-Ausgaben soll Bahnfahren günstiger werden. Wie kann das funktionieren?
„Wir spielen auf Angriff“, bemühte Bahnchef Richard Lutz am Wochenende noch einmal die Fußballmetapher. Das bundeseigene Unternehmen will sich nicht hinten reinstellen und zusehen, wie Billigflieger, Fernbusse und Mitfahrzentralen beim Kunden punkten.
Lutz will weitere Fahrgastrekorde. „Mit mehr Zügen, mehr günstigen Tickets und besserem Service, etwa kostenlosem WLAN“, wie der Vorstandschef in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ wirbt.
Bislang hat die Bahn 119 ICE4-Züge für 5,3 Milliarden Euro in Auftrag gegeben, die Siemens bis 2023 liefern soll; auch Bombardier arbeitet an dem Zug mit. Nun stockt die Bahn die Bestellung auf. Voraussichtlich eine Milliarde zusätzlich fließt in weitere Hochgeschwindigkeitszüge und das Aufmöbeln alter ICE, die nun länger durchhalten sollen.
18 Züge der jüngsten ICE-Generation sowie 20 neue Eurocity-Züge kämen hinzu, ist in Aufsichtsratskreisen zu hören - außerdem 50 Wagen, um schon bestellte ICE zu verlängern. Sie bieten dann 918 statt 830 Sitzplätze. Ein Beschluss des Aufsichtrats dazu ist für die September-Sitzung geplant. Außerdem will die Bahn, wie schon beschlossen, 120 Doppelstock-Intercity (IC2) bis zum Jahr 2030 einsetzen. Davon sind 27 schon im Einsatz, 42 weitere sind fest bestellt und werden ab Ende dieses Jahres nach und nach ausgeliefert.
Zugleich aber geht der Konzern beim Fahrpreis zum Angriff über. Mit Fahrkarten ab 19,90 Euro wird ab August das Sonderangebot für viele Fahrgäste zum Normalfall. Seit 2014 sind die Sparpreise um elf Prozent gesunken, wie Personenverkehrsvorstand Berthold Huber kürzlich erklärte. Das rechne sich, weil es mehr Fahrgäste bringe.
„Dem Gewinn hat zusätzlicher Verkehr nie geschadet“, sagt auch Konzernchef Lutz. Zumal es weiterhin auch die teuren Tickets gibt - vor allem dann, wenn viele Menschen reisen wollen, etwa am Freitagnachmittag. „Wir investieren sechs Milliarden Euro in neue ICE4, da können wir nicht alle Tickets günstig anbieten.“
Neue Züge senken auch die Kosten. Um einen alten ICE einen Kilometer fahren zu lassen, gibt die Bahn 30 Euro aus, etwa für Strom, Trassengebühren und Abschreibungen. Beim ICE4 kalkulieren die Manager mit nur 25 Euro, weil der beispielsweise ein Fünftel weniger Strom verbraucht. Beim neuen Doppelstock-Intercity kostet der Kilometer sogar nur 18 Euro. Siemens entwickelt gerade die fünfte Generation des Velaro-Schnellzuges, der bei der Bahn als ICE3 unterwegs ist. Die neueste Variante wurde am Mittwoch in Krefeld vorgestellt: Sie ist sparsamer, leiser und hat mehr Plätze als ihre Vorgänger.
Die Bahn arbeitet außerdem an einer flächendeckenden digitalen Leittechnik. Damit soll es in 10 bis 15 Jahren möglich sein, 20 Prozent mehr Züge auf dem Schienennetz fahren zu lassen, ohne dass dafür ein zusätzliches Gleis verlegt werden muss.
Der Staatskonzern steht unter Druck: Union und SPD fordern in ihrem Koalitionsvertrag, dass im Jahr 2030 rund 280 Millionen Fahrgäste in ICE und Intercity unterwegs sind. 2017 waren es 143 Millionen. Die Bahn hatte sich bislang 180 Millionen zum Ziel für 2030 gesetzt.
„Der Koalitionsvertrag ist Rückenwind für die Eisenbahn“, sagt Huber nun, auch wenn er die 280 Millionen an anderer Stelle „ausgesprochen sportlich“ genannt hat. Grünen-Bahnexperte Matthias Gastel wirft der Koalition vor, nicht zu sagen, wie sie das Ziel erreichen wolle. Die Regierung dürfe nicht „noch mehr Geld in den Straßenverkehr“ stecken.
Im Vertrag steht auch, dass die Regierung mit der Bahn eine neue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung abschließen will. Die derzeit gültige Vereinbarung läuft 2019 aus. Sie sieht für den Erhalt des Schienennetzes jährliche Zahlungen des Bundes bis zu 3,5 Milliarden Euro vor. Die Bahn hofft auf mehr Geld ab 2020.
Denn um ihre Bilanz steht es noch immer nicht besonders gut. Erst vergangenes Jahr hat der Bund - neben dem üblichen Zuschuss - mit einer Finanzspritze das Eigenkapital aufgepäppelt. Die Schulden sind auf 18,6 Milliarden Euro gestiegen.
Notfalls muss die Bahn ans Tafelsilber. Schon Lutz' Vorgänger Rüdiger Grube hatte zeitweise erwogen, eine Beteiligung an der Auslandstochter DB Arriva und an dem Logistiker DB Schenker zu verkaufen. Lutz, damals Finanzvorstand, sagt heute: „Das steht derzeit zwar nicht auf der Tagesordnung, kann aber eine Option sein, wenn wir zusätzliche Finanzierung für Investitionen in Wachstum brauchen.“