Ehemaliger Topmanager Neues Buch: Middelhoff dringt auf Reform des Strafvollzugs

Stuttgart (dpa) - Vom Konzernlenker mit Villa im südfranzösischen Nobelort St. Tropez zum Untersuchungshäftling in einer kleinen Zelle in der Justizvollzugsanstalt Essen: Der Absturz von Thomas Middelhoff war tief.

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In einem fast 300-seitigen Buch arbeitet der Manager jetzt diese Erfahrung auf und setzt sich ein neues Ziel. Wegen seiner Erfahrungen will er sich künftig für eine Reform des Strafvollzugs in Deutschland einsetzen.

„Die Reform des deutschen Justizvollzugs ist erkennbar überfällig“, schreibt der Manager in seinem Buch „A115 - Der Sturz“, das am Donnerstag in Stuttgart veröffentlicht wird. Aufgrund jahrelanger Sparmaßnahmen, fataler Investitionsstaus und einer verfehlten Personalpolitik werde in der Haft heute oft das Gegenteil von dem erreicht, was angestrebt werde. Er wolle seine Kraft dafür einsetzen, dass hier dringend notwendige Reformen angestoßen würden.

Middelhoff war im November 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue zulasten des ehemaligen Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Wegen Fluchtgefahr wurde er noch im Gerichtssaal verhaftet und saß mehr als fünf Monate in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Essen in Untersuchungshaft, bevor er gegen Kaution entlassen wurde. Derzeit verbüßt er den Rest der Freiheitsstrafe im offenen Vollzug in Bielefeld.

Sein Buch ist in weiten Teilen eine Abrechnung mit der Justiz und dem Strafvollzug, wie er sie erlebt hat. „Innerhalb weniger Stunden bin ich von einem international tätigen Manager zu einem vermeintlichen Schwerverbrecher geworden“, notiert er fassungslos.

Ausführlich beschreibt Middelhoff den Schock der ersten Haftwochen und die Verhältnisse dort aus seiner Sicht: das stinkende Klo, die schlecht geheizte Zelle, die Gefahr durch organisierte Gangs und die endlosen Zeiten des Weggesperrtseins sowie seine Art, damit umzugehen.

Eine große Rolle spielt auch die schwere Autoimmunerkrankung, die sich der Manager während der Haft zugezogen hat. Middelhoff führt den Ausbruch der Krankheit darauf zurück, dass er aus Angst vor einem Selbstmordversuch über Wochen hinweg nachts regelmäßig kontrolliert wurde. Im Viertelstundentakt sei dabei das Licht in seiner Zelle A115 eingeschaltet worden, so dass er keine Ruhe gefunden habe.

„Über vier Wochen kaum Schlaf - unwillkürlich erinnert mich das an Guantanamo, das Hochsicherheitsgefängnis der USA, in dem mutmaßliche Terroristen inhaftiert sind“, schreibt er. Das Justizministerium von Nordrhein-Westfalen hatte der Gefängnisleitung indes im April 2015 nach Vorwürfen von Middelhoffs Anwälten ein korrektes Verhalten bescheinigt. Detailreich klagt der Manager auch über die seiner Meinung nach unzureichende medizinische Versorgung in der JVA Essen.

Wer auf ein Schuldeingeständnis von Middelhoff wartet, tut dies zumindest, was seine Verurteilung angeht, weitgehend vergeblich. „Ich werde keine falsche Reue zeigen für Entscheidungen, von denen ich auch heute noch fest überzeugt bin, dass sie richtig, angemessen und sachgerecht waren“, schreibt er an einer Stelle. „Man mag mich öffentlich hingerichtet haben, man mag mir meine Freiheit genommen haben - meine Würde werde ich mir nicht auch noch nehmen lassen.“

Stattdessen gibt es harsche Kritik am Vorgehen der Strafkammer. Nicht zuletzt die nach dem Urteil wegen Fluchtgefahr angeordnete Untersuchungshaft ist für den Manager unverständlich. „Wohin sollte eine Person mit einem dermaßen hohen Bekanntheitsgrad und damit Wiedererkennungspotenzial fliehen?“, fragt er. Auch die Medien und ihre „Hexenjagd“ auf ihn und seine Familie prangert der Manager an.

Halt gibt dem katholischen Manager in der Haft die Religion. In der JVA Essen sei er zum ersten Mal seit fast 44 Jahren wieder zur Beichte gegangen - und habe den Weg zurück zum Glauben gefunden. Die Wochen und Monate in der Stille und Einsamkeit der Zelle hätten ihn verändert, schreibt Middelhoff. Lange Zeit habe er eine Rolle gespielt als „Teil der globalen Business-Elite, hart, schnell, einflussreich und allem und jedem gewachsen“. Wie ein Abhängiger sei er dem süßen Gift der öffentlichen Anerkennung hinterhergejagt.

Doch in der Haft sei ihm klar geworden, dass er das nicht mehr wolle. „In meiner Zelle war mir alles genommen - und dennoch fühlte ich mich nicht so leer wie zuvor in Zeiten materieller Fülle.“ Künftig wolle er „Wertstiftendes tun“. Die Arbeit, die er nun als Hilfskraft in einer Behindertenwerkstatt in Bethel leiste, mache ihm „unendliche Freude“. Sein altes Lebensmodell existiere nicht mehr.

„Bin ich jetzt ein gebrochener, verbitterter Mensch?“, fragt Middelhoff gegen Ende des Buchs. Und er gibt die Antwort: „Nein. Ich fühle mich so stark und fest wie nie zuvor in meinem Leben.“