Angstgegner Online wächst: Schonzeit für Lebensmittelhandel läuft ab
Düsseldorf (dpa) - Während der Modehandel und Elektronikanbieter unter dem Siegeszug des Online-Handels ächzen, spüren Supermärkte und Drogeriemarktketten bislang nur wenig von der Internetkonkurrenz.
Nur etwa ein Prozent der Branchenumsätze von rund 170 Milliarden Euro in der Branche werden bislang online gemacht. Doch die Anzeichen mehren sich, dass die Schonzeit für Deutschlands Lebensmittelhändler zu Ende geht.
Signal 1: Das Online-Wachstum zieht an.
Im vergangenen Jahr steigerte der Online-Handel nach Angaben des Branchenverbandes bevh seine Umsätze mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs um satte 26,7 Prozent auf 932 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Internethandel insgesamt legte „nur“ um 12,5 Prozent zu.
Signal 2: In Randsegmenten punkten Online-Händler bereits kräftig.
Auch wenn die meisten Verbraucher noch davor zurückschrecken, Hackfleisch oder Joghurt im Internet zu bestellen, können die Online-Händler doch schon in einigen Randsegementen des Lebensmittelhandels punkten - etwa beim Tierfutter. Der bayerische Onlinehändler Zooplus steigerte im vergangenen Jahr seine Umsätze europaweit um 28 Prozent auf 908 Millionen Euro. Rund ein Viertel davon dürfte auf Deutschland entfallen.
Signal 3: Angstgegner Amazon steht offenbar in den Startlöchern.
Der deutsche Lebensmittelhandel wartet seit Monaten gebannt darauf, wann der US-Internetriese seinen Lebensmittel-Lieferdienst Amazon Fresh auch in Deutschland an den Start bringt. Jetzt scheint der Zeitpunkt in greifbare Nähe gerückt. Das Branchenfachblatt „Lebensmittel Zeitung“ berichtet unter Berufung auf „Lieferanten und Geschäftspartner“ des US-Konzerns, dieser wolle im April mit seinem Service in Berlin starten. Zwar schweigt Amazon selbst zu den Spekulationen, der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein ist jedoch überzeugt: „Das Jahr 2017 wird das Jahr des Dammbruchs im Onlinehandel mit Lebensmitteln, und Amazon wird der Dammbrecher.“ Die Entwicklung werde wahrscheinlich ähnlich verlaufen wie in anderen Branchen. „Jahr für Jahr werden mehr Umsätze ins Internet abwandern. Am Anfang wird es ein Rinnsal sein, am Ende ein reißender Strom“, meint Heinemann. Und fügt noch hinzu: „Es ist eine Einbahnstraße. Was weg ist, kommt nicht mehr zurück.“
Signal 4: Auch immer mehr deutsche Supermarktketten stärken ihr Online-Standbein.
Online-Vorreiter unter deutschen Handelsketten ist Rewe. Der Kölner Handelsriese bietet bereits in rund 75 Städten die Möglichkeit, auch frische Lebensmittel - von der Bio-Banane bis zum Rinderhackfleisch - im Internet zu ordern und dann nach Hause geliefert zu bekommen. Aktuell weitet das Unternehmen außerdem seinen „Abholservice“ aus, bei dem Waren per Internet bestellt und anschließend fertig verpackt im Laden abgeholt werden können.
Konkurrent Edeka, bislang bei frischen Produkten vor allem über die Online-Angebote selbstständiger Händler im Netz präsent, sicherte sich bei der Tengelmann-Übernahme auch den Lebensmittel-Lieferdienst Bringmeister. Der ist bisher in Berlin und München aktiv. „Wir wollen das Konzept natürlich weiterentwickeln“, betont ein Unternehmenssprecher. Außerdem will Edeka in Zusammenarbeit mit der Bahn schon bald Abholstationen für online bestellte Waren an Bahnhöfen testen. Auch Kaufland startete schon einen Lieferdienst in Berlin.
Noch bleibt den Händlern eine Gnadenfrist, glaubt Heinemann. „Der Markt für Lebensmittel ist riesig. Und es wird sehr lange dauern, bis die Online-Händler einen Marktanteil von zehn Prozent oder mehr erreichen.“ Doch gebe es für die Händler keinen Grund, sich in Sicherheit zu wiegen. Denn bislang hätten sie Amazon wenig entgegenzusetzen. Während Rewe und Co. noch mit der Logistik kämpften, punkte der Internetgigant mit einer gigantischen Warenvielfalt und Kundenbindung via Amazon Prime.
Die Veränderungen, vor denen die Branche steht, dürften gewaltig sein. Rewe-Chef Alain Caparros hat erst kürzlich in einem Interview seine Vision dargestellt, wie der Kunde der Zukunft einkaufen wird: „Den Bedarf an Produkten, die man regelmäßig braucht wie Waschmittel, wird er online bestellen und sich die Einkäufe liefern lassen. Den Rest kauft er vor Ort im Laden.“