Siemens senkt Gewinnprognose und räumt Fehler ein
München (dpa) - Siemens hat sich bei Windparkprojekten in der Nordsee heftig verkalkuliert und muss nun Lehrgeld zahlen. Vorstandschef Peter Löscher senkte die Gewinnprognose für Europas größten Elektrokonzern am Mittwoch von 6,0 Milliarden auf 5,2 bis 5,4 Milliarden Euro.
„Es gab klare Fehler bei uns im Hause,“ sagte Löscher und fügte hinzu: „Komplett unterschätzt haben wir die Komplexität dieser Projekte.“
Bei der Anbindung großer Windparks vor Helgoland und Borkum ans deutsche Stromnetz liegt Siemens ein Jahr hinter dem Zeitplan zurück. Deshalb muss der Münchner Konzern Vertragsstrafen an den Netzbetreiber zahlen und außerdem zusätzliches Personal einstellen, um den Rückstand nicht noch größer werden zu lassen. Die Probleme hatten Siemens schon im ersten Quartal seines im Oktober beginnenden Geschäftsjahres 203 Millionen Euro gekostet, jetzt kamen weitere 278 Millionen dazu - und Löscher erwartet noch mehr. Die bisherige Gewinnprognose müsse hauptsächlich deswegen um 600 bis 800 Millionen Euro nach Steuern gesenkt werden, sagte der Konzernchef. „Das ist eine sehr bittere Lehre für uns.“ Den verantwortlichen Manager Udo Niehage ließ Löscher jetzt absetzen, die Sparte wird umgebaut: „Wir haben die Konsequenzen gezogen.“
Die Umspann-Plattformen in der deutschen Nordsee seien „fünfmal weiter vom Festland entfernt, doppelt so leistungsfähig und fünfmal so schwer“ wie die an der britischen Küste errichteten Anlagen. Siemens habe das unterschätzt. Auch die Genehmigungsbehörden seien immer noch dabei, Vorschriften auszuarbeiten. Die Plattformen Borwin 2 und Helwin 1 werden derzeit in Wismar und Rostock gebaut, in zwei Jahren sollen sie fast drei Millionen Haushalte mit grünem Strom versorgen.
Noch stärker belastete die Dauerbaustelle Nokia Siemens Networks (NSN) den Konzern: Die Sanierung der Telefonnetz-Tochter und der Abbau von weltweit 17 000 Stellen kosteten Siemens im zweiten Quartal (31. März) 640 Millionen Euro. Diese Größenordnung war allerdings schon lange angekündigt und in der alten Gewinnprognose bereits berücksichtigt gewesen.
Im Industriegeschäft und in der Medizintechnik lief es für Siemens Im Großen und Ganzen rund. Der Konzernumsatz legte in allen Regionen und Sektoren kräftig zu, insgesamt schaffte Siemens ein Plus von neun Prozent auf 19,3 Milliarden Euro. Aber das Quartalsergebnis fiel von 2,8 auf 1,0 Milliarden Euro. Im Vorjahresquartal hatte der Verkauf der Siemens-Anteile am Atomkraftwerksbauer Areva dem Konzern 1,5 Milliarden Euro in die Kasse gespült - der Rest des Rückgangs geht vor allem auf das Konto der Windpark-Probleme.
Enttäuschend war der Auftragseingang im zweiten Quartal: Wegen der gedämpften Weltkonjunktur und des härteren Preiskampf um Großaufträge fiel er um 13 Prozent auf 17,9 Milliarden Euro und blieb damit deutlich unter dem Umsatz. Finanzvorstand Joe Kaeser rechnet aber mit einer Belebung im zweiten Halbjahr. Löscher betonte: „Für das Gesamtjahr 2012 sind wir bei Auftragseingang und Umsatz auf Kurs, unsere Ziele zu erreichen.“ Der Umsatz soll mindestens drei Prozent steigen und der Auftragseingang den Umsatz übertreffen.
Der Börsengang von Osram ist weiterhin für Herbst geplant. Hier bleibe Siemens „auf der Spur“, sagte Löscher. „Wir warten auf ein Marktfenster.“
Die Börse hatte die Entwicklung erwartet und reagierte gelassen. Siemens-Aktien bewegten sich am Mittwoch leicht im Plus.
Auch der Siemens-Konkurrent ABB ist in schwerem Fahrwasser. Die Schweizer legten beim Quartalsumsatz und -gewinn leicht zu, verfehlten aber die Erwartungen und gerieten an der Börse unter Druck.