Gastbeitrag Strafzölle: Trump hebelt internationale Ordnung aus

Für Josef Braml, USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sind die Strafzölle ein Erpressungsmanöver. Er warnt aber Europa, mit einer Retourkutsche zu reagieren.

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Berlin. US-Präsident Donald Trump setzt nicht nur handelspolitische Ziele durch, indem er seine Strafzölle auf Stahl und Aluminium mit der nationalen Sicherheit begründet. In der Nato gleichen die Zölle einem Erpressungsmanöver und für die Welthandelsorganisation (WTO) sind sie ein Präzedenzfall, der sie obsolet machen könnte.

Im eigenen Land hebelt Trump damit die Gewaltenkontrolle aus und der Kongress wird ihn nicht einmal stoppen. Dennoch sollten Deutschland und Europa nicht mit Retourkutschen reagieren.

Wer dachte, dass sich Trump als Präsident auch handelspolitisch weniger populistisch geben würde, wurde von ihm gleich in seiner „America First“-Amtsantrittsrede eines Besseren belehrt. Wie schon im Wahlkampf polterte Donald Trump darin gegen den Freihandel und drohte mit Zöllen. Auch die Nominierungen, die Trump im handelspolitischen Bereich vornahm, machten deutlich, dass die bereits unter seinen Vorgängern angespannten Handelsbeziehungen zu China und Deutschland kaum besser werden würden.

Im Gegenteil: Wilbur Ross, ehemaliger Stahl-Unternehmer und jetzt Trumps Handelsminister, verstärkte noch Trumps Botschaft, dass die US-Regierung sich nicht mit „arglistigen Handelspraktiken“ und staatlich subventionierter Produktion im Ausland abfinden dürfe.

Seit Längerem will auch der Direktor des Nationalen Handelsrats, der Ökonom Peter Navarro, vor allem mit protektionistischen Mitteln den „Aufstieg Chinas“ stoppen, den er in seinem Nullsummendenken für den „Abstieg Amerikas“ verantwortlich macht.

Politiker, von denen europäische Regierungen gehofft hatten, dass sie Scharfmacher wie Wilbur Ross und Peter Navarro einhegen könnten, haben die Machtkämpfe im Weißen Haus dagegen verloren und sind nicht mehr präsent: Rob Porter musste sein Amt als Stabssekretär niederlegen, nachdem Anschuldigungen wegen häuslicher Gewalt gleich von beiden seiner Ex-Frauen bekannt wurden. Gary Cohn — der Direktor des Nationalen Wirtschaftsrates, der Strafzöllen kritisch gegenüberstand — kündigte am 6. März seinen Rücktritt an, nachdem er mit US-Präsident Trumps unvermittelter Entscheidung für Strafzölle einmal mehr bloßgestellt wurde.

Trump ignorierte schließlich auch noch die sicherheitspolitischen Einwände seines Verteidigungsministers James Mattis, der gewarnt hatte, dass Amerika mit pauschalen Handelszöllen insbesondere Verbündete wie Deutschland, Japan und Südkorea schädigen würde. Trump verdrehte diese sicherheitspolitische Begründung letztlich sogar in ihr Gegenteil: An europäische Partner wie Deutschland gerichtet, argumentierte der Präsident, dass wahre Verbündete Amerika nicht beim Handel „über den Tisch ziehen“ würden. Nicht nur das: Trump setzte hinzu, eben diese Partner sollten doch erst ihren militärischen Verpflichtungen in der Nato nachkommen und das „Zwei-Prozent-Ziel“ erfüllen, wonach die Mitgliedsländer des Verteidigungsbündnisses bis 2024 zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Rüstung und Militär ausgeben sollen.

Damit verquickt der Präsident nicht nur handels- und sicherheitspolitische Ziele; sein Manöver kommt einer Erpressung gleich, die in keiner Weise den bisherigen Gepflogenheiten in der internationalen Ordnung entspricht. Kanada und Mexiko, die Nachbarländer der USA, blieben bisher zwar von den angekündigten Zöllen verschont — aber nur, damit Trump weiter ein Druckmittel für Verhandlungen im Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta in der Hand halten konnte. Mit diesem Schachzug und mit seiner nach bisherigen Spielregeln ungebotenen Verknüpfung von Handels- und Sicherheitspolitik, gefährdet Trump jedoch nicht nur das Vertrauen in die NATO. Er unterminiert auch die Regeln der WTO und hebelt die innere Gewaltenkontrolle im politischen System der USA aus.

In seiner Vermischung von Handels- und Sicherheitspolitik nimmt Trump Amerikas Nato-Partner weniger als Verbündete denn als Gefährder wahr: Er sieht ihre Exporte in die USA als nationale Bedrohung; eine Ausnahme von Strafzöllen können die europäischen Handelspartner demnach nur erbitten, indem sie nachweisen, dass sie ihre Import-/Export-Bilanz zugunsten der USA verändern. Nach derselben Logik führt der von Trump angebotene Lösungsweg für handelspolitische Interessenkonflikte über die Sicherheitspolitik: Europäische Verbündeten können sich wohl nur dann das Wohlwollen Trumps erwirken, wenn sie amerikanische Rüstungsgüter kaufen, damit technologisch abhängig bleiben und zudem das amerikanische Handelsdefizit verringern helfen. Wer weiterhin den Schutz der USA beanspruchen will, muss dafür künftig mehr zahlen — und diesen Tribut nicht nur durch seinen Beitrag zur Sicherheitspolitik, sondern auch in der Handelspolitik zollen.

Militärmacht zielt für den Geschäftsmann Trump damit nicht nur auf Sicherheit: Sie bietet den „kompetitiven Wettbewerbsvorteil“ schlechthin: Das ist nicht nur ein transaktionales, sondern ultimativ darwinistisch Verständnis internationaler Handels- und Sicherheitspolitik. Nach Trump haben Staaten damit keine Freunde, sondern nur nationale Interessen, und sie trachten danach, diese rücksichtslos durchzusetzen. Verfolgt man dieses Nullsummendenken konsequent weiter, ist militärische Macht kein Mittel für internationale Stabilität, geschweige denn Frieden. Sie dient vielmehr dazu, um im härter werdenden internationalen Wettbewerb zu gewinnen — mit dem Recht des Stärkeren und zwangsläufig auf Kosten aller anderen Nationen.

Das auch in der aktuellen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA als „realistisch“ bezeichnete Politikverständnis von US-Präsident Trump und seiner Sicherheitsberater widerspricht der in Deutschland bevorzugten liberal-internationalistischen Vorstellung einer regelbasierten Weltordnung, in der internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und die WTO eine zentrale Rolle spielen.

In der Weltsicht von US-Präsident Trump, in der maximale militärische Macht das Recht des Stärkeren begründet, sind multilaterale Organisationen ein Hindernis: Sie sind schließlich darauf ausgerichtet, internationalem Recht zur Stärke zu helfen, auszugleichen, den Stimmen auch der — nach Trumps Meinung — „Schwächeren“ im Konzert der Nationen zur Geltung zu verhelfen. Dementsprechend abschätzig betrachtet Trump das multilaterale Welthandelssystem, das er immer wieder als „schlechten Deal“ für Amerika darstellt. Sollten die von den Zöllen betroffenen Staaten den Schiedsrichter anrufen und die USA vor der Welthandelsorganisation verklagen, würde ein solcher Schritt den US-Präsidenten gemäß seiner jetzigen Rhetorik nicht einmal anfechten: Im schlimmsten Fall könnte US-Präsident Trump von vorneherein Amerikas WTO-Austritt und die Welthandelsorganisation für irrelevant erklären. Selbst im besten Fall würde sich ein Schiedsverfahren lange hinziehen und wohl erst nach Trumps Amtszeit greifen.

Viel folgenreicher aber ist der Paradigmenwechsel, den Trump mit seiner Verquickung von Handels- und Sicherheitspolitik vollzieht: Denn es ist fraglich, ob die WTO überhaupt Streitigkeiten über Handelsmaßnahmen schlichten kann, die mit nationaler Sicherheit begründet werden. Dem Beispiel der USA folgend, könnten andere Länder ihrerseits Zölle im Namen ihrer nationalen Sicherheit erheben. Das wäre schnell das Ende einer durch die WTO geregelten internationalen Handelsordnung.

Wenn es um die nationale Sicherheit geht, so wohl eine weitere Überlegung Trumps, kann auch die Gewaltenkontrolle im eigenen Land ausgehebelt werden. Schon unmittelbar nach dem Amtsantritt ließen der Präsident und seine Entourage keinen Zweifel daran, dass sie die Position der Exekutive auf Kosten der Machtbefugnisse des Kongresses stärken wollten. Die amerikanische Verfassung sichert dem US-Präsidenten das Recht, in einer Gefahrensituation die dominante Rolle des Obersten Befehlshabers einzunehmen und im Notfall dann auch die Gewaltenkontrolle auszuhebeln. Unter dem Vorzeichen einer nationalen Bedrohung kann also die Regierungsgewalt, insbesondere die des Präsidenten, erheblich erweitert werden.

Es ist diese Nische, die Trump — der als Geschäftsmann gewohnt war, dass seinen Anweisungen gefolgt wurde — jetzt ausnutzt. Der Kongress wird Trump nicht hindern, solange der Kongress am kürzeren Hebel sitzt, funktioniert die Gewaltenkontrolle damit nur unzureichend. Es war zwar der Kongress selbst, der Präsidenten mit dem 1962 verabschiedeten Trade Expansion Act die Befugnis gab, aus Gründen der nationalen Sicherheit Strafzölle zu erlassen.

Diese Autorität könnte der Kongress dem aktuellen Amtsinhaber im Weißen Haus aber auch wieder entziehen: Erforderlich wäre lediglich ein weiterer Gesetzesakt. Dabei jedoch redet US-Präsident Trump ein mächtiges Wort mit, denn Gesetzesvorlagen des Kongresses müssen von ihm unterzeichnet werden, damit sie Gesetzeskraft erhalten. Legt der Präsident sein Veto ein, kann er nur von jeweils zwei Dritteln der Abgeordneten und Senatoren in beiden Kammern überstimmt werden. Derart überwältigende Mehrheiten zu finden, ist aber erfahrungsgemäß äußerst schwierig — erst recht in Zeiten nationaler Unsicherheit und zumal in einem Wahljahr. Kongressmitglieder werden so auch jetzt eher zögern, dem Oberbefehlshaber in die Hand zu greifen und ihn in den Augen der Wähler daran zu hindern, das Land zu schützen.

Nicht nur spielt Trump hier das populistische Narrativ in die Hände, dass er mit seinen Zöllen gerade die „vergessenen Männer und Frauen Amerikas“ verteidigt. Der Präsident kann auch auf viele protektionistisch gesinnte Abgeordnete und Senatoren in den Reihen der Demokraten zählen, die ihrerseits versuchen, mit einer freihandelskritischen Haltung bei den anstehenden Kongresswahlen am 6. November 2018 zu punkten.

So naheliegend es auch erscheint, auf Zollschranken der USA ebenso mit Abschottung und Gegenzöllen zu reagieren, so gefährlich wäre dieses Handeln. Eine weitere Eskalation würde vor allem exportorientierten Ländern wie Deutschland schaden. Es könnte die Weltwirtschaft in eine nachhaltige Depression wie in den 1930er Jahren stürzen — mit den bekannten Folgen. Besonnener — und am Ende zielführender — wäre es, die politische und ökonomische Problematik von Handelsungleichgewichten anzuerkennen und abzubauen. Denn darin eröffnen sich Chancen für Deutschland und Europa.

Dauerhafte Handelsungleichgewichte sind ein politisches Problem. In Ländern mit negativer Handelsbilanz führen sie zur Wahrnehmung, das Ausland raube ihnen ihre Industrie. Sie nähren damit zugleich die falsche Illusion, von Protektionismus profitieren zu können. Ähnlich wie schon in Großbritannien beim Brexit-Referendum rebellierte bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 das deindustrialisierte Land gegen die Metropole. Trump konnte seinen Wahlsieg gegen das vermeintliche „Washingtoner Establishment“ und die „Wall Street“ vor allem mit dem Versprechen gewinnen, die von den USA forcierte Globalisierung umzukehren.

Dauerhafte Handelsungleichgewichte sind aber auch ein ökonomisches Problem. Überschussländer wie Deutschland sollten mehr Binnennachfrage generieren, Haushaltsüberschüsse vermeiden und die Investitionsbedingungen verbessern. Damit könnten die globalen Ungleichgewichte nach und nach abgebaut werden. Indem Überschussländer wie Deutschland fiskalpolitische Anreize geben, um Ersparnisse stärker im eigenen Land zu investieren, würden Handelsungleichgewichte ausgeglichen. Im Vergleich zu anderen Industriestaaten hat Deutschland derzeit eine der niedrigsten Quoten für öffentliche Investitionen: Auch der deutsche Staat kann also mehr im eigenen Land investieren — in Schulen und Bildung, in die öffentliche Infrastruktur und die Digitalisierung, in Stromnetze, Straßen und beim Aufbau eines flächendeckenden Gigabit-Glasfasernetzes.

Um Trumps Forderungen nach höheren Militärausgaben zu entkräften und für die eigene Sicherheit zu sorgen, sollten europäische Regierungen einen Verteidigungsfonds etablieren, um gemeinsame Rüstungsanstrengungen zu ermöglichen. Europa sollte die Drohung von US-Präsident Trump ernst nehmen, dass die USA ihren Schutzverpflichtungen gegenüber ihren europäischen Verbündeten nicht mehr nachkommen wird, wenn diese nicht bereit sind, selbst mehr Lasten zu schultern.

Firmen und institutionelle Anleger könnten ihrerseits zur Verbesserung des Kapitalstocks in Deutschland und Europa beitragen, indem sie mehr Geld in die Binneninfrastruktur investieren und weniger in den USA — zumal dort über kurz oder lang ohnehin eine Entwertung ihrer Anlagen droht, wenn die privaten und staatlichen Schulden in den USA weiter aus dem Ruder laufen. Mangels Fremdfinanzierung würde auch der Druck auf die USA erhöht, besser zu haushalten.

Denn es sind vor allem auch Defizitländer wie die USA, die durch ihr riskantes Finanzgebaren makroökonomische Ungleichgewichte befördern: 2007/2008 haben sie damit die Weltwirtschaft kurz vor den Kollaps und auch viele deutsche Anleger um ihre Vermögen gebracht. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um zu verhindern, dass die erneut anschwellenden makroökonomischen Ungleichgewichte wieder durch einen größeren Schock korrigiert werden, der die Weltwirtschaft und auch Europas politische Systeme einmal mehr in die Krise stürzt.