Volkswagen forciert Offensive für US-Markt
Wolfsburg/Chattanooga (dpa) - Europas größter Autobauer Volkswagen setzt ein Zeichen gegen seine langwierige Schwäche auf dem US-Markt.
Konzernchef Martin Winterkorn kündigte am Montag an, das bisher einzige VW-Werk in den USA bis Ende 2016 kräftig auszubauen für die Produktion einer Geländelimousine mit dem Arbeitstitel CrossBlue.
Auch ein Entwicklungszentrum wollen die Wolfsburger in den Vereinigten Staaten hochziehen, um den Marktbesonderheiten stärker Rechnung zu tragen. „Die Marke Volkswagen wird in den USA weiter auf Angriff spielen“, versprach Winterkorn. Der Ausbau der Fabrik in Chattanooga samt Planungszentrum werde 643 Millionen Euro kosten, es sollen rund 2000 zusätzliche feste Arbeitsplätze entstehen.
Die USA sind nach China der wichtigste Automarkt der Welt. Volkswagen muss dort aber bei seiner zentralen Kernmarke mit dem VW-Logo seit 15 Monaten am Stück sinkende Verkaufszahlen verkraften. Und das, obwohl der Markt eigentlich wächst.
Zwar haben die VW-Pkw ihren Absatz seit 2009 fast verdoppelt. „Aber 2013 haben wir an Tempo verloren“, räumte Winterkorn am Montag ein. Als eine Ursache gilt, dass amerikanische Kunden eine rasche Auffrischung bestehender Modelle gewohnt sind. Die Branche nennt die kosmetische Anpassung Modellpflege oder Facelifts.
Zudem hat die Modellpalette des Konzerns Lücken. So fehlt etwa ein geräumiges, günstiges SUV. Der VW Touareg sprengt die Budgets vieler US-Käufer und gilt dabei dort nur als mittelgroß. Die Lücke schließt der CrossBlue, kurz darauf soll ein verlängerter Tiguan hinzukommen.
Volkswagen hat in den USA große Ambitionen: 2018 will VW die Verkaufszahlen der Kernmarke auf 800 000 Stück etwa verdoppelt haben (2013: 408 000 Stück). Zusammen mit Audi und Porsche peilt der Konzern sogar eine Million Neuwagen an. Zu diesem Ziel sei man „voll auf Kurs“, hatte Finanzchef Hans Dieter Pötsch im März gesagt. Für die Töchter stimmt das auf jeden Fall: Audi und Porsche kamen schon 2013 auf zusammen gut 200 000 verkaufte Autos - Tendenz steigend. Sie könnten also auch als ein Gegengewicht zur Kernmarke dienen.
Winterkorn kündigte nun Gegenmaßnahmen an. „Wir wollen vor Ort auch eine Entwicklungs- und Planungsmannschaft aufbauen, die zum einen den Wettbewerb beobachten soll.“ Darüber hinaus werde sich das Team auch Gedanken machen, welche Abwandlungen bestehender Modelle - sogenannte Derivate - speziell für den US-Markt Sinn ergeben könnten. In dem neuen Kreativlabor in Chattanooga sollen 200 Ingenieure arbeiten.
Der US-Standort baut bisher schon die Limousine Passat. Alternativ war für den CrossBlue auch Mexiko im Gespräch. Der Wettlauf der zwei Standorte war konzernintern ein Politikum, weil in Chattanooga ein Gremium für die betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Werk fehlt. In allen weltweit übrigen Fabriken des Konzerns gibt es so eine Möglichkeit nach Vorbild des deutschen Betriebsratsmodells.
Zeitweise hatten Vertreter des mächtigen VW-Konzernbetriebsrates damit gedroht, ihre Zustimmung für eine mögliche Standortentscheidung pro Chattanooga von der Mitbestimmungsfrage abhängig zu machen. Eine Lösung schien zeitweise zum Greifen nahe, als die Autogewerkschaft UAW im Werk über eine Vertretung der Arbeitnehmerinteressen abstimmen ließ. Doch sie scheiterte Anfang 2014 knapp. Damals hatte es auch Befürchtungen gegeben, dass ein Start der UAW im bisher tendenziell gewerkschaftsfreien Süden der USA der gesamten Branche schaden könne.
Das Thema brachte monatelange Querelen. Volkswagen demonstrierte nun am Montag Einigkeit. Bei einer Pressekonferenz in Wolfsburg waren der Gouverneur von Tennessee, Bill Haslam, und Tennessees Senator Bob Corker zugegen - sie zählen zu den lautstärksten UAW-Kritikern.
Bei der noch ungelösten Mitbestimmungsfrage gibt es eine gewichtige Personalie: VW-Arbeitnehmerboss und Aufsichtsrat Bernd Osterloh zieht als Co-Manager in die Direktorenrunde der VW-Gruppe in Amerika ein. Winterkorn erklärte: „Dabei wird er auch die Sicht der Arbeitnehmer einbringen. Das entspricht der Mitbestimmungskultur bei Volkswagen.“
Osterloh ließ mitteilen, dass er sich auf die Aufgabe freue: „Der nordamerikanische Markt bietet große Chancen, die wir aus meiner Sicht in der Vergangenheit nicht konsequent genug genutzt haben.“ Anfang des Jahres hatte Osterloh noch weniger diplomatisch formuliert, VW sei in den USA eine „Katastrophenveranstaltung“.
Die bei VW stark organisierte IG Metall begrüßte Osterlohs Einzug ins US-Management. „Beteiligung und Mitbestimmung müssen auch im Süden der USA Fuß fassen“, sagte IG-Metall-Chef Detlef Wetzel. „Die IG Metall wird sich weiter gegen gewerkschaftsfreie Zonen engagieren.“