Vor Zinsentscheidung: Merkel sieht EZB im Dilemma
Dresden (dpa) - Angesichts von Rekordarbeitslosigkeit und Wirtschaftstalfahrt in Euro-Krisenländern werden Spekulationen über eine bevorstehende Zinssenkung der EZB angeheizt.
In welchem Dilemma die Währungshüter stecken, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ungewöhnlich deutlichen Worten beschrieben. Normalerweise hält sich die Bundesregierung mit Äußerungen zur EZB-Politik sehr zurück. Die EZB sei in einer schwierigen Situation, sagte Merkel am Donnerstag auf dem Sparkassentag in Dresden. „Sie müsste für Deutschland im Augenblick die Zinsen im Grunde wahrscheinlich etwas erhöhen.“
Aber für andere Länder müsse sie eigentlich noch mehr dafür tun, dass wirklich wieder Liquidität zur Verfügung gestellt werde und vor allem, dass diese Liquidität bei Unternehmensfinanzierungen ankomme. Für niedrigere Zinsen für Euro-Krisenländer plädieren etliche Experten. Merkels Äußerungen lösten prompt die Frage aus, ob die Regierung die Unabhängigkeit der EZB wahre. Auf der Bundespressekonferenz erklärte Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) daraufhin in Berlin: „Ich möchte nicht, dass die Kanzlerin da missverstanden wird. Es ist klare Aufgabe der EZB, in völliger Unabhängigkeit die Leitzinsen festzulegen.“
Zuvor hatte EZB-Direktor Jörg Asmussen in der Debatte um noch niedrigere Leitzinsen im Euroraum die Erwartungen in den Krisenländern gedämpft. „Die Wirkung einer Zinssenkung wäre in den Peripherieländern begrenzt. Dort würde sie aber am ehesten gebraucht“, sagte er am Donnerstag in London. Auch er beschrieb das Problem unterschiedlicher Kreditbedingungen im Währungsraum: mittelständische Unternehmen in Ländern wie Spanien oder Italien müssen zurzeit höhere Zinsen für Bankkredite zahlen als in Deutschland.
Asmussen warnte aber davor, die Möglichkeiten der Geldpolitik im aktuellen Umfeld zu überschätzen: „Geldpolitik ist keine Allzweckwaffe gegen jede Art ökonomischer Krankheit“. Die Notenbank habe viel getan, um die Finanzausstattung der Geschäftsbanken zu verbessern. Aber es gebe derzeit noch andere Hürden, die die Kreditvergabe behindern, etwa eine erhöhte Risikoscheu oder eine geringe Nachfrage nach Bankkrediten. „Das ist der Punkt, wo unsere Verantwortung endet und die von Regierungen und anderen EU-Institutionen beginnt.“
In Portugal oder Italien sei der Unternehmenskredit momentan zwei bis drei Mal so teuer wie in Deutschland, sagte Merkel. Viele Reformbestrebungen würden so aufgefressen. „Ich unterstütze voll und ganz, dass wir wieder zu einem harmonisierten Zinsniveau in Europa kommen müssen“, sagte Merkel.
Als Fundament dafür nannte sie unter anderem vergleichbare Wirtschaftsstrukturen. Es müsse ein gemeinsames Verständnis von Wirtschaftspolitik und Wettbewerbsfähigkeit geben. Wenn man wieder zu erträglichen Zinsniveaus kommen wolle, gelte es diese interne Spaltung des Euroraumes überwinden. Am 2. Mai werden die
Währungshüter über den Leitzins im Euroraum entscheiden, der derzeit
auf dem Rekordtief von 0,75 Prozent liegt.