VW wankt weiter durch die Abgas-Krise
Wolfsburg (dpa) - Der Abgas-Skandal bei Europas größtem Autobauer Volkswagen zieht immer weitere Kreise. In immer mehr Ländern werden Klagen bekannt. Die Regierungen in Frankreich und Spanien erwägen zudem, gezahlte Subventionen zurückzufordern.
Das VW-Aufsichtsratspräsidium kam erneut zu einem Krisentreffen zusammen. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit wollte das fünfköpfige Gremium auf dem Werksgelände in Wolfsburg unter anderem über einen Zwischenbericht zu der Affäre sprechen. Über die konkreten Inhalte oder gar Beschlüsse wurde zunächst nichts bekannt.
Nach stundenlangen Beratungen hieß es aus Teilnehmerkreisen, an diesem Abend sei mit keiner Erklärung mehr zu rechnen. Unterdessen sollten die Gespräche bis tief in den Abend hinein weitergehen.
Zum innersten VW-Machtzirkel des Kontrollgremiums zählen Interims- Aufsichtsratschef Berthold Huber, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Aufsichtsrat Wolfgang Porsche, Betriebsratschef Bernd Osterloh und dessen Stellvertreter Stephan Wolf.
Am Sonntag vor einer Woche war herausgekommen, dass der Autobauer in den USA mit einem Computerprogramm die Abgaswerte bei Dieselwagen manipuliert hat. Weltweit sind nach Konzernangaben rund elf Millionen Fahrzeuge betroffen, davon rund 2,8 Millionen auch in Deutschland. Bereits am 3. September soll Volkswagen gegenüber der amerikanischen Umweltbehörde EPA die Manipulation eingeräumt haben.
Nach dpa-Informationen spielt genau dieses Datum eine gewichtige Rolle. Denn gegenüber der Öffentlichkeit schweigt der Zwölf-Marken-Konzern sich noch Wochen aus. In Konzernkreisen wird befürchtet, VW habe damit gegen das Aktienrecht verstoßen. Denn alle börsenrelevanten Informationen müssen öffentlich gemacht werden.
Darüber hinaus ging es bei den Präsidiumsberatungen auch um die Zukunft des bisherigen VW-Finanzchefs Hans Dieter Pötsch. Anfang September hatte das Präsidium Pötsch noch einstimmig als Nachfolger von Ferdinand Piëch an der Spitze des Aufsichtsrates vorgeschlagen. Der langjährige VW-Patriarch Piëch hatte im Frühjahr einen internen Machtkampf mit dem ehemaligen Konzernchef Martin Winterkorn verloren und war zurückgetreten. Seitdem hat den Posten übergangsweise der frühere IG-Metall-Chef Berthold Huber inne.
In Konzernkreisen war nach einem Bericht des „Handelsblatts“ Kritik laut geworden, weil Pötsch in seiner neuen Rolle die Aufklärung des Dieselskandals beaufsichtigen soll - für den er in seiner Zeit als VW-Vorstand aber möglicherweise eine Mitschuld tragen könnte, wie es in den Kreisen hieß. Nach dpa-Informationen gibt es hier etwa seitens des Landes Niedersachsen Klärungsbedarf wegen der möglichen Verwicklungen von Pötsch in die aktuelle Abgas-Krise.
Die Familien Porsche und Piëch dagegen stehen unverändert hinter Pötsch als künftigen Chef des Volkswagen-Kontrollgremiums, wie ein Sprecher der Dachgesellschaft Porsche SE der dpa in Stuttgart sagte. Die Holding hält die Mehrheit an VW, die Familien Piëch und Porsche wiederum spielen eine maßgebliche Rolle in der Porsche SE.
Im Abgas-Skandal drohen Volkswagen neben Schadensersatzansprüchen und Sammelklagen weitere Kosten. Die Regierungen in Frankreich und Spanien erwägen, Subventionen zurückzufordern. Zudem machte am Abend die Nachricht Runde, dass auch in Italien ein Umweltverband Klage gegen den Konzern eingereicht hat - juristische Auseinandersetzungen drohen bislang auch in den USA, Deutschland und Südkorea.
Indes gab es auch bei der VW-Tochter Porsche einen Führungswechsel. Der bisherige Produktionsvorstand Oliver Blume folgt auf den früheren Porsche-Chef Matthias Müller, der vergangene Woche neuer VW-Konzernchef wurde. Sein bisheriger Sprecher Hans-Gerd Bode ersetzt den Leiter der VW-Konzernkommunikation, Stephan Grühsem.
Nach Informationen des „Manager Magazin“ wurden bereits ein Dutzend VW-Mitarbeiter beurlaubt. Sie seien an Entwicklung und Einsatz der zur Manipulation von Abgaswerten genutzten Software beteiligt gewesen oder hätten zumindest frühzeitig davon gewusst. Deshalb würden sie bis zur Klärung der Vorwürfe beurlaubt. Betroffen seien Entwickler und Manager in Deutschland sowie den USA.
In Frankreich sagte Umweltministerin Ségolène Royal, wenn der Verkauf angeblich sauberer Fahrzeuge mit Fördergeldern zusammenhänge, „dann müssen diese öffentlichen Hilfen zurückgezahlt werden“. Auch Spanien sucht nach rechtlichen Wegen, wie eine Erstattung von Subventionen für schadstoffarme Autos geltend gemacht werden kann.
Nach VW stellte auch die Konzerntochter Audi Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Ingolstadt. In den USA gingen weitere Klagen ein. Das Harris County in Texas fordert wegen Luftverpestung mehr als 100 Millionen Dollar (89 Millionen Euro), wie das Büro des Staatsanwalts Vince Ryan in Houston mitteilte.
Am Dienstag hatte der Konzern mitgeteilt, dass alleine von der Kernmarke VW fünf Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten geholt werden sollen. Betroffene Kunden sollen per Post informiert werden.
Eine Woche nach dem Rücktritt von VW-Chef Martin Winterkorn wurde im Motorenwerk Salzgitter die Produktion zurückgefahren. In Braunschweig verhängte die VW-Finanztochter Volkswagen Financial Services bis zum Jahresende einen Einstellungsstopp. Nicht verlängert werden sollen zudem zunächst alle 2015 auslaufenden Verträge von Werkstudenten und Zeitarbeitern. Nach dpa-Informationen sind knapp 30 Zeitverträge betroffen.