Auf schmaler Spur: Risiko von Autobahnbaustellen
Bergisch Gladbach (dpa/tmn) - Überholen an Autobahnbaustellen ist riskant: Oft kommen die Fahrzeuge sich gefährlich nah. Doch selbst in den Engstellen halten sich längst nicht alle ans Tempolimit. Ob breitere Fahrspuren mehr Sicherheit bieten würden, ist umstritten.
Der Lastwagen passt an der Autobahnbaustelle gerade so auf die rechte Spur. Der Platz zum Überholen ist knapp - und wird manchmal noch enger, wenn der Lkw hin und her schlingert. Der Autofahrer, der links vorbeiziehen will, hat plötzlich Zweifel: Passt's oder passt's nicht? Schließlich gehorcht er seinem Bauchgefühl und bleibt genervt hinter dem Brummi.
Situationen wie diese dürften nahezu alle Autofahrer schon einmal erlebt haben. Als der Auto Club Europa (ACE) Anfang November mit der Forderung nach breiteren Fahrspuren im Bereich von Autobahnbaustellen an die Öffentlichkeit ging, sprach er deshalb wohl vielen Pkw-Lenkern aus dem Herzen. „Eine Lösung des Dilemmas könnte in einer Verbreiterung des linken Fahrstreifens bestehen - sofern dies durch die baulichen Gegebenheiten möglich erscheint“, schlug der Club vor.
In vielen Fällen ist die linke Spur an Autobahnbaustellen auf 2,50 Meter Breite verengt und darf nur von Fahrzeugen befahren werden, die nicht breiter als 2 Meter sind. Außenspiegel oder Ladung werden dabei mitgemessen. Rechtlich ist die linke Spur in Baustellenbereichen damit für viele Pkw-Modelle tabu.
Der ACE fordert eine Verbreiterung der Linksspuren um 10 bis 50 Zentimeter. Dann könne der Verkehr betreffende Stellen reibungsloser passieren. In diesem Zusammenhang sagte ACE-Sprecher Rainer Hillgärtner: „Jede entschärfte Autobahnbaustelle ist ein Plus an Verkehrssicherheit.“ Diesem Satz dürften wohl alle Verkehrsexperten zustimmen. Unterschiedliche Meinungen gibt es aber darüber, wie Entschärfung erzielt werden kann.
Ergebnissen der Unfallforschung der Versicherer (UDV) zufolge sind schmale Fahrspuren sogar sicherer als etwas breitere. UDV-Sprecher Klaus Brandenstein erklärt: „Viele Autofahrer sind langsamer unterwegs, wenn die Spuren schmaler sind und gehen weniger Risiko ein.“ Diese abschreckende Wirkung verpuffe bereits zum Teil, wenn allein die rechte Spur im Baustellenbereich von den oft üblichen 3 auf 3,25 Meter verbreitert werde. Sicherer fließe der Verkehr dann wieder ab einer Gesamtbreite beider Spuren von 6 Metern. Vor diesem Hintergrund stuft die UDV den risikomindernden Effekt geplanter Spurverbreiterungen als eher marginal ein.
Derzeit ist bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ein Arbeitskreis aktiv, der die betreffenden „Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen“ überarbeitet. Vorgesehen ist, die Mindestspurbreite von 2,50 auf 2,60 Meter zu erweitern. Immerhin wären dann mehr Autos dem Gesetz nach schmal genug, um die linke Spur überhaupt befahren zu dürfen.
Kaum umstritten ist, dass Autobahnbaustellen besondere Gefahren bergen. Zwar gehen Unfälle dort nach UDV-Angaben oft glimpflicher aus als auf baustellenfreien Strecken, weil der Verkehr vergleichsweise langsam rollt. Das Risiko eines Crashs ist aber vor allem auf kurvig geschwenkten Fahrspuren, etwa am Anfang und am Ende einer Baustelle, und an Zufahrten ohne Beschleunigungsstreifen hoch. „Auch beim Herausbeschleunigen aus der Baustelle passieren viele Unfälle - viele wechseln unbekümmert auf die linke Spur“, stellt Brandenstein fest.
Um sich und andere vor Unfällen an Autobahnbaustellen zu schützen, raten Verkehrsexperten zu Gelassenheit. „Wenn man dort einmal nicht überholen kann, dann lässt man es einfach“, empfiehlt Brandenstein. Überholten Autofahrer einen mit 60 km/h fahrenden Lkw, führen sie zudem oft schneller als im Baustellenbereich erlaubt.
Für Situationen, in denen es eng werden kann, rät Hillgärtner, auf der rechten und linken Spur versetzt statt nebeneinander zu fahren. Dies empfehle sich zum Beispiel, wenn ein Lkw bei Regenwetter einen langen Wasserschleier hinter sich her zieht und das Überholen wegen der schlechten Sicht besonders gefährlich ist.
Eine Grundregel gilt immer: Tempoverstöße erhöhen das Unfallrisiko. Dass durch eine auffallende Beschilderung der Geschwindigkeitsdrang vieler Autofahrer gehemmt werden kann, glaubt die UDV belegt zu haben. In einer Vorher-Nachher-Untersuchung eines Abschnitts der A6 fanden die Forscher heraus, dass Schilder in gelber Signalfarbe vor allem am Baustellenbeginn eine Geschwindigkeitsreduzierung von durchschnittlich 10 km/h bewirken. Um den Warneffekt solcher Schilder nicht zu gefährden, empfiehlt die UDV, sie wohldosiert in besonders kritischen Bereichen aufzustellen.
Zu einer anderen Erkenntnis kam der ACE: „Wer auf schmalen Fahrstreifen zu schnell fährt, verengt sein Sichtfeld und bekommt den gefährlichen 'Tunnelblick'“, heißt es in einem Flyer des Verkehrsclubs. Und wer seinen Blickwinkel auf diese Weise einschränkt, dem kommt womöglich nicht die rettende Idee, im Zweifel doch lieber hinter einem schlingernden Lastwagen rechts einzuscheren.