Aufgeladen oder abgeblasen? - Turbotechnik im Motorradbau
Stuttgart (dpa/tmn) - Immer mehr Autos sind mit Turbomotoren bestückt. Die bringen viel Leistung bei vergleichsweise geringem Verbrauch. Für Motorradfahrer gab es in den 80er Jahren ebenfalls Turbomodelle - ein Riesen-Flop.
Aber warum eigentlich?
Aus dem Automobilbau sind Turbomotoren nicht mehr wegzudenken. Mittels eines vom Abgasstrom angetriebenen Verdichters wird dabei zusätzlich Luft zur Verbrennung in die Brennkammern geleitet. Der Effekt ist eine deutliche Steigerung von Leistung und Drehmoment, bei immer kleiner werdenden Hubräumen und reduziertem Spritverbrauch. Downsizing lautet die Devise. Aber warum gibt es aktuell eigentlich keine Turbomotorräder? Und wie stehen die Chancen für Zweiräder mit Aufladung in Zukunft?
In den 1980er Jahren haben es die japanischen Motorradhersteller Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha versucht und Maschinen mit Turbo bestückt. Das Resultat war einer der größten Verkaufsflops in der Geschichte des Motorradbaus: Rund 3500 Maschinen rollten damals weltweit zu den Kunden - wohlgemerkt: alle Modelle zusammengenommen. Danach verschwanden die Turbomotorräder genauso schnell wieder aus den Modellprogrammen wie sie gekommen waren.
Dass sich die Turbotechnik auch in Motorrädern sinnvoll einsetzen lässt, davon ist Hans-Jürgen Berner vom Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart überzeugt. „Dazu muss man das Drehzahlniveau senken und stattdessen einen höheren Mitteldruck in den Brennräumen anstreben“, sagt der Leiter der Abteilung Thermodynamik und Brennverfahren. Mit geringeren Drehzahlen gehen auch geringere Reibungsverluste im Motor einher. „Deshalb brauchen wir nicht nur ein Downsizing, sondern auch ein Downspeeding, um wirklich Sprit zu sparen.“
Dennoch geht Berner davon aus, dass die Turbotechnik beim Motorrad vorerst keine Rolle spielen wird. Zu gering seien die Stückzahlen und zu rückläufig die Märkte, um den Entwicklungsaufwand zu betreiben.
Eine Absage erteilt Norbert Klauer dem Turbo im Motorradbau. Das Potenzial zur Gewichts- und Verbrauchsreduzierung durch Downsizing sei beim Motorrad viel kleiner als bei Pkw. „Der Hubraumreduzierung steht eine gewichtserhöhende Umkonstruktion der gesamten Motor- und Getriebemechanik gegenüber“, erläutert der Leiter Entwicklung Antrieb bei BMW Motorrad. Manfred Kolb, Technikexperte bei Honda, sieht das ähnlich: „Nach dem heutigen Stand der Technik wird der Turbo auch in naher Zukunft bei Motorrädern keine Rolle spielen.“
Da waren die japanischen Motorradbauer Anfang der 80er Jahre noch anderer Meinung und warteten jeweils mit einem Turbomodell auf. Ziel war es, die Leistung von Mittelklasse-Bikes auf das Niveau von deutlich hubraumstärkeren Modellen zu heben. Spritsparen war indes kaum ein Thema. „Im Gegenteil: Sie soffen wie die Löcher“, erinnert sich Stefan Kaschel von der Zeitschrift „Motorrad“. „Das lag am Festhalten am Hochdrehzahlkonzept“, sagt Berner. BMW hatte sein Engagement in Sachen Turbomotorräder 1981 noch vor der Produktion eines Serienmodells aufgegeben. Futuro hieß das Konzeptfahrzeug.
Dass die japanischen Turbo-Bikes floppten, lag unter anderem an dem abrupten und heftigen Leistungseinsatz, wenn der Turbolader zu Werke ging. „Das war je nach Modell für den Fahrer schwer zu beherrschen“, sagt Michael Lenzen vom Bundesverband der Motorradfahrer (BVDM). „Außerdem hat die aufwendige Technik die Bikes extrem verteuert.“
Seit dem Fiasko ist es still geworden um die Ladertechnik. Nur Suzuki sorgte jüngst mit einer Studie für Aufsehen: Recursion heißt das Konzept für eine sportliche Maschine mit Turbo. Als Antrieb dient laut Hersteller ein neu konstruierter Reihen-Zweizylindermotor mit 588 Kubikzentimetern Hubraum. Das aufgeladene Aggregat soll 74 kW/100 PS Leistung und bis zu 100 Newtonmeter Drehmoment entwickeln.
Suzuki hält sich äußerst bedeckt, was die Recursion und deren Zweck angeht. „Die Ausstattung des neu entwickelten Zweizylinder-Motors mit einem Turbolader vereint kompakte Abmessungen und ein spielerisches Handling mit einem begeisternden Drehmoment und der Leistung eines wesentlich größeren Motors“, lautet ein dürres Statement der Japaner. Und auch die Verbrauchsminimierung spielt laut Suzuki eine Rolle. So soll der Spritdurst gegenüber einem vergleichbaren Serienmotorrad ohne Turbo gerade einmal halb so groß sein.
Dennoch: Viele Experten sind skeptisch, dass der Turbo im Motorrad eine zweite Chance bekommt - auch Honda-Techniker Kolb. „Die Modelle waren damals Prestigeobjekte, die zeigen sollten, was technisch möglich ist. Das war bei unseren Wettbewerbern auch nicht anders“, sagt er. Wie ernst Suzukis neuer Anlauf gemeint ist, bleibt abzuwarten.