Einer geht noch: Autogetriebe legen einen Gang zu

Friedrichshafen (dpa/tmn) - Viel hilft viel - das gilt offenbar auch für die Zahl der Gänge im Autogetriebe. Um den Komfort zu steigern und den Verbrauch zu senken, bekommt die Automatik jetzt erstmals neun und die Handschaltung sieben Stufen.

Fahrradfahrer kennen es längst: Je mehr Gänge sie haben, desto besser können sie Hügel meistern und das Tempo regulieren. Diesem Vorbild folgen zusehends auch die Ingenieure in der Automobilindustrie und rüsten ihre Getriebe auf. Ob Automatik oder manuelle Schaltung - in beiden Varianten halten zusätzliche Schaltstufen Einzug.

Ein Plus an Gängen nützt in erster Linie zur Komfortsteigerung und zum Spritsparen, erklärt Peter Ottenbruch, Technikvorstand beim Zulieferer ZF. Das Unternehmen in Friedrichshafen hat kürzlich die erste Pkw-Automatik mit neun Gängen vorgestellt. Das Räderwerk mit rund 360 Komponenten bietet eine weitere Spreizung und hält den Motor näher und länger im optimalen Betriebsbereich. Dadurch sei ein Verbrauchsvorteil von elf Prozent möglich, sagt Michael Ebenhoch, leitender Entwickler bei ZF.

Die Beschleunigungswerte sollen sich durch die neunstufige Automatik ebenfalls verbessern: Für den Sprint von Null auf Tempo 100 stellte Ebenhoch einen Zeitgewinn von bis zu 0,6 Sekunden in Aussicht. Der Fahrkomfort profitiere von geringeren Motordrehzahlen. „Bei der üblichen Autobahngeschwindigkeit dreht der Motor pro Minute mit etwa 700 Touren weniger“, sagt der ZF-Entwickler. Das neue Getriebe soll in zwei Jahren in Serie gehen und seinen Einstand nach Brancheninformationen in einem Modell der Chrysler Group geben. Da es für Autos mit Frontantrieb und Quermotor konzipiert ist, eignet es sich eher für die Kompakt- und Mittelklasse als für Modelle der Oberklasse.

Nachdem es bei der Automatik seit knapp zwei Jahren die ersten Achtstufen-Getriebe und bald neun Gänge gibt, legen nun auch die Handschalter einen Zahn zu. Als erster Pkw wird die nächste Generation des Porsche 911 ein Siebengang-Schaltgetriebe bekommen. Der Sportwagen wird Mitte September auf der Internationalen Automobilausstellung IAA in Frankfurt Premiere feiern. Laut Hersteller trägt die neue Getriebeabstufung dazu bei, den Verbrauch bei der sparsamsten Modellvariante um rund 16 Prozent auf durchschnittlich 8,2 Liter (CO2-Ausstoß: 194 g/km) zu drücken.

Während in den gehobenen Preissegmenten mit sieben, acht und neun Gängen geschaltet und experimentiert wird, gibt es bei den günstigeren Fahrzeugen noch immer Handschalter mit fünf und Automaten mit vier Stufen. Aber nicht mehr lange, glaubt Timo Götte, der bei Volkswagen in Wolfsburg die Vorausentwicklung von Getrieben leitet: „Auch im kleineren und mittleren Fahrzeugsegment werden Getriebe mit sechs Gängen zunehmend Standard.“

Es ist allerdings nicht die Anzahl der Gänge und damit die Spreizung des Getriebes allein, wodurch sich die Effizienz eines Antriebs steigern lässt. Laut Götte spielt dabei auch die Reduzierung von Reibverlusten bei Lagern, Schaltelementen oder Ölpumpen eine Rolle. Eine weitere Stellschraube sei das Gewicht, ergänzt Ralf Wörner aus der Mercedes-Entwicklung in Stuttgart. Die aktuelle ZF-Neuheit gibt ihm Recht: Obwohl die Automatik einen Gang mehr hat als bisher, besteht sie aus weniger Teilen und ist dem Hersteller zufolge leichter als ein herkömmliches Getriebe.

VW-Mann Götte rechnet damit, dass die Vielfalt bei den Automatikgetrieben und der Ganganzahl zunehmen werde. Der Erfolg von Automaten mit sieben, acht oder neun Gängen hänge vor allem davon ab, wie gut ihr Schaltkomfort sei. „Denn die Kunden werden die vielen Schaltvorgänge nur akzeptieren, wenn diese fast nicht mehr spürbar sind.“

Wird es deshalb womöglich nicht bei neun Gängen für die Automatik und sieben für das Schaltgetriebe bleiben? „Heute kann ich mir nicht vorstellen, dass wir in naher Zukunft noch einmal einen Gang zulegen“, sagt ZF-Vorstand Ottenbruch. „Doch das habe ich vor zwei Jahren bei der Premiere unserer Automatik mit acht Gängen auch schon gesagt - und strafe mich jetzt selber Lügen.“

Obwohl sich in ihrem Bereich gerade sehr viel tut, wissen die Getriebe-Entwickler längst, dass ihre Tage gezählt sind. Denn wo sie heute über mehr Gänge, Reibungsoptimierung und Leichtbau grübeln, reicht dem Elektroauto in Zukunft meist eine einzige Fahrstufe. Angst um ihren Job haben sie aber nicht: „Auch zukünftig wird es eine Koexistenz unterschiedlicher Antriebsformen geben“, ist Daimler-Mann Wörner überzeugt. „Deshalb wird weiterhin an der Optimierung der Getriebe gearbeitet.“