Glaubensfrage Fahrrad-Helm - Mit oder ohne Schutz radeln?
Münster (dpa) - Fahrradhelme schützen vor Kopfverletzungen, gern getragen werden sie trotzdem nicht. Bei der Diskussion um das Pro und Kontra einer Helmpflicht wird es schnell hitzig.
Lässig und entspannt radelt der Holländer ohne Schutz auf dem Kopf. Kommt ihm ein Radfahrer mit Helm entgegen, ist sofort klar: Das ist ein Radtourist aus Deutschland. Dass alle Deutschen mit Helm fahren, ist allerdings ein Trugschluss.
Nach Zahlen der Bundesanstalt für Straßenwesen haben sich im Jahr 2012 genau 13 Prozent der Radfahrer für einen Kopfschutz entschieden. Im Jahr davor waren es 11 Prozent. Die Tendenz ist steigend. Für Polizei und Mediziner geht es nicht schnell genug. Sie wollen möglichst alle Unfälle, bei denen Radler ums Leben kommen oder schwere Schädel-Hirn-Verletzungen erleiden, mit Hilfe des Helms verhindern.
Hilft da vielleicht Zwang? Ein Forscher aus Münster hat in einer Studie berechnet, wie sich eine gesetzliche Helmpflicht auswirken würde. Dabei ging es dem Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft an der Uni Münster, Gernot Sieg, nicht um die Frage, ob das Tragen eines Helms sinnvoll ist oder nicht.
Der Forscher untersuchte mehrere Effekte und ihre Folgen für die Volkswirtschaft. Zum Beispiel, ob Radler bei einer Helmpflicht auf Auto und Bus umsteigen und damit wegen des Bewegungsmangels der eigenen Gesundheit schaden. Kosten entstehen auch dadurch, dass ein Helm gekauft werden muss, dieser sollte zudem regelmäßig erneuert werden. Andererseits kann ein Kopfschutz auch Kosten sparen, wenn ein Unfall glimpflicher abläuft - das verbuchte der Wissenschaftler unter gesellschaftlichem Nutzen.
„Der gesellschaftliche Nutzen durch eine gesetzliche Helmpflicht in Deutschland wäre geringer als die gesellschaftlichen Kosten. Das ändert aber nichts daran, dass das Tragen eines Helms beim Radfahren die Folgen eines Unfalls reduziert“, sagte Sieg. Er selbst trägt auf dem Rad einen Helm, aber nicht bei allen Fahrten.
Als Sieg sein Forschungsergebnis veröffentlichte, brach ein Sturm der Entrüstung über ihn herein. Die Hannelore-Kohl-Stiftung, die sich um Unfall-Opfer mit Schäden im zentralen Nervensystem kümmert, sprach in einer Pressemitteilung von schwer zu ertragenden Zahlen und einem zynischen Ergebnis. In der gleichen Mitteilung sprach sich die Stiftung allerdings auch gegen eine Helmpflicht aus.
Das hatte auch Sieg getan. Sein Fazit: „Sinnvoller als eine gesetzliche Helmpflicht, um die Sicherheit von Radfahrern zu erhöhen, ist ein verschärftes Tempolimit für Autos, eine konsequente Kontrolle der Verkehrsregeln sowie die Verbesserung der Infrastruktur für Radfahrer.“
Siegs Zahlen belegen, dass Radfahren, berechnet nach der gefahrenen Zeit, eine sichere, gesundheitsfördernde und umweltfreundliche Transport-Möglichkeit ist. Der Forscher warnt vor einer (Über-)Betonung der möglichen Gefahren.
In Ländern wie in Holland, wo es keine Helmpflicht gibt und die Radler den Helm strikt ablehnen, ist die Sicherheit der Radfahrer trotzdem höher als in Deutschland. Darauf weist der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) hin. „Dort wird so viel geradelt, wie sonst nirgends auf der Welt. Gleichzeitig ist dort das Risiko, als Fahrradfahrer zu verunglücken, so niedrig wie in keinem anderen Land“, sagte ADFC-Sprecherin Stephanie Krone. Eine gesetzliche Helmpflicht lehnt der ADFC ab. „Erfolgsrezept für sicheres Radfahren sind breite, gut gepflegte Fahrradspuren. Und: rücksichtsvolles Verhalten aller Verkehrsteilnehmer.“
Da es in Deutschland aber noch keine niederländischen Verhältnisse gibt, rät der ADFC besonders Kindern und älteren Menschen zum Helm. In Deutschland sind etwa zehn Prozent der Verkehrstoten Radfahrer.
Fürsprecher der Helmpflicht sind oft Mediziner: Die Quote bei den Helm-Trägern findet der Chef der Neurochirurgie an der Rostocker Universitätsklinik viel zu niedrig. „Das Tragen eines Helms ist dringend anzuraten“, sagte der Mediziner Jürgen Piek, der sich für eine Helmpflicht ausspricht. Kopfverletzungen könnten um ein Drittel, schwere Schädelverletzungen sogar um zwei Drittel reduziert werden.
Bewegung in die Diskussion brachte 2013 ein Urteil des Oberlandesgerichts in Schleswig. Danach hatte eine Radfahrerin, nach einem Unfall ohne Kopfschutz, eine Mitschuld bekommen. Am 17. Juni verhandelt der Bundesgerichtshof in letzter Instanz über den Fall. In der Politik spielt eine gesetzliche Vorgabe aktuell keine Rolle. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD steht lediglich: „Wir wollen darauf hinwirken, dass deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen.“
Für den Leitenden Polizeidirektor Udo Weiss aus der Fahrradhochburg Münster ist eine Helmpflicht nur die letzte Lösung. „Der Helm muss aus Überzeugung getragen werden. Und gerade Erwachsene sollen sich zum Helm bekennen. Wer gegen eine Helmpflicht ist, soll das offen sagen, aber nicht den Helm verunglimpfen“, sagte Weiss. In Münster gab es in den vergangen vier Jahren sechs tote Radfahrer. Fünf hätten noch leben können, sagt Weiss, wenn sie einen Helm getragen hätten.