Hightech gegen Tücken des Autoalltags
Rüsselsheim/Fulda (dpa/tmn) - Die Entwicklung von Motoren, Fahrwerken und Assistenzsystemen hält in der Autoindustrie Heerscharen von Technikspezialisten auf Trab. Doch Ingenieure kümmern sich auch um viel profanere Dinge - zum Beispiel um Schokoflecken im Sitzpolster.
Na prima! Das Auto ist noch keine drei Wochen alt, schon wischt der Nachwuchs seine Schokofinger an den Sitzen ab. Oder der Beifahrer kleckert seinen Kaffee auf die Polster. Situationen wie diese waren bis vor kurzem für den Frieden einer Fahrgemeinschaft nicht gerade förderlich. Doch mittlerweile kosten solche Missgeschicke die Besitzer aktueller Autos oft nur noch ein Lächeln und ein paar Blätter von der Küchenrolle. Denn dank einer Spezialbeschichtung sind viele Sitzbezüge weitgehend resistent gegen Flecken. Und das ist nur eines von vielen Beispielen, wie die Autoentwickler Fahrzeuge gegen die Tücken des Alltags wappnen: Neben dem Schmutz haben sie auch Kratzern und Eis auf den Scheiben den Kampf angesagt.
Damit Schokolade dem Autointerieur genauso wenig anhaben kann wie Kaffee, Cola oder Ketchup, setzt Opel nach eigenen Angaben auf Nanotechnologie. Sitzmöbel mit beschichteten Stofffasern bauen die Rüsselsheimer unter anderem in ihr Flaggschiff Insignia ein. Eine ähnliche Lösung gibt es auch bei Hyundai, Kia und in Modellen der Chrysler-Gruppe: Schmutz und Schmier perlen an deren Spezialpolstern förmlich ab. „Flüssigkeiten können heute nicht mehr so leicht eindringen, und eingetrocknete oder tiefergehende Verschmutzungen lassen sich mit Seife und Wasser einfach auswaschen“, erklärt der Zulieferer Sage aus Spartanburg (USA), der zahlreiche Autohersteller mit schmutzabweisenden Sitzbezügen beliefert.
Aber es geht den Autobauern nicht nur im Innenraum um den schönen Schein: Damit die Autos auch außen möglichst lange neu aussehen, werden die Lackierungen zunehmend unempfindlicher. Mercedes verwendet etwa einen Lack, der laut Pressesprecher Norbert Giesen winzige Keramikpartikel enthält. Diese sind für das bloße Auge unsichtbar, bewahren aber dauerhaft den tiefen Glanz der Karosse: „Die feinen Schleifspuren einer Autowäsche werden damit zum Beispiel verhindert“, sagt Giesen. Kratzer durch Steine oder Äste können die harten Partikel dagegen nicht abwehren.
Da ist man bei Nissan und Infiniti schon einen Schritt weiter: Die Japaner haben einen Speziallack mit „Selbstheilungskräften“ im Programm, wie Infiniti-Sprecher Wayne Bruce erklärt. Ist die Oberfläche des Autos verkratzt, genügen laut Bruce ein wenig warmes Wasser und ein paar Streicheleinheiten mit einem weichen Lappen - schon sei der Schaden wieder behoben. Besondere Harze im Klarlack sollen das möglich machen. Durch das warme Wasser werden sie elastisch und können Lücken in der Schutzschicht verschließen.
Auch bei den Scheiben experimentieren die Autohersteller mit Oberflächenbeschichtungen. Spiegelgläser und Seitenfenster vieler Fahrzeuge geben Wassertropfen keinen Halt mehr: Regen perlt im Fahrtwind einfach ab, ohne Schlieren zu hinterlassen. Dadurch verbessert sich die Rundumsicht des Fahrers deutlich, erläutert ein Entwickler der Toyota-Tochter Lexus. Volkswagen will künftig mit einer neuartigen Frontscheibe sogar das Eiskratzen abschaffen: In das Glas wird eine hauchdünne, durchsichtige Schicht aus Indiumzinnoxid einarbeitet, deren Kristalle die Scheibe langsamer abkühlen lassen. So bildet sich kein Kondenswasser auf der Außenseite, und die Scheibe bleibe im Winter eisfrei, teilte VW mit.
Noch kein Auto der Welt ist allerdings so unempfindlich wie eine Fahrzeugstudie des Entwicklungsdienstleisters EDAG in Fulda. Das Elektromobil wurde für die besondere Beanspruchung beim Carsharing entwickelt, wo ständig wechselnde Fahrer einen Wagen möglicherweise weniger pfleglich behandeln als ein eigenes Auto. Deshalb lässt sich der Innenraum des Konzeptfahrzeugs mit einem Dampfstrahler reinigen, heißt es bei EDAG. Außerdem sollen Gelkissen die Karosserie an allen anfälligen Stellen vor Beulen bewahren. Nach einer Kollision nehmen sie von alleine wieder ihre ursprüngliche Form an. Die Studie hat allerdings einen Haken: Bis jetzt gibt es sie nur als 3D-Modell im Computer.