Kartei-Revolution in Flensburg?
Berlin (dpa) - Die Flensburger Sünderkartei für Autofahrer soll völlig umgekrempelt werden. Künftig könnte der Lappen schon mit 8 Punkten weg sein. Doch ob notorische Verkehrsrowdys damit schneller als bislang zu Fuß gehen müssen, können selbst Experten noch nicht sagen.
Wer zu schnell in eine Radarfalle rauscht, kennt den plötzlichen Schreck: „Gibt das Punkte in Flensburg?“ Seit mehr als 50 Jahren ist das Verkehrszentralregister im hohen Norden so etwas wie das schlechte Gewissen der Autofahrernation. Die Kartei, in der zuletzt rund neun Millionen Bürger mit Straftaten und schweren Ordnungswidrigkeiten am Steuer registriert waren, soll auf den Prüfstand. Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) will bis Ende Februar Eckpunkte präsentieren - Genaues ist noch im Unklaren.
Warum soll das Punktesystem geändert werden?
„Ich will das einfacher, transparenter und handhabbarer machen“, lautet Ramsauers Zielvorgabe. „Dieses System ist derart kompliziert geworden, dass niemand mehr richtig durchblickt.“ Gleichzeitig soll damit die Verkehrssicherheit verbessert werden. Denn die Kartei hat auch abschreckende Wirkung und soll Fahrern im Hinterkopf sein, damit es an der Radarfalle nicht blitzt. Der mächtige Autofahrerclub ADAC, der nach eigener Darstellung mit seinen Juristen mit an den Einzelheiten arbeitet, spricht von einer „Revolution in Flensburg“.
Was will Ramsauer am System ändern?
Das System soll „gestaucht und geschrumpft“ werden. Bisher gibt es einen komplizierten Katalog: Ordnungswidrigkeiten ab einem Bußgeld von 40 Euro werden mit 1 bis 4 Punkten bewertet, für Straftaten kommen 5 bis 7 Punkte in die Kartei. Was die Reform genau für die große Palette der Delikte bedeuten wird, steht nicht endgültig fest. Klar ist: Für Vergehen, bei denen es bisher bis zu 3 Punkte gab, soll es nur noch 1 Punkt geben. Für alle schwereren Vergehen - bisher mit 3 bis 7 Punkten bewertet - ist nach Informationen der „Bild“-Zeitung eine zweite Gruppe geplant: mit 2 Punkten.
Was bedeutet das konkret?
Wer innerorts 31 bis 40 Kilometer pro Stunde zu viel auf dem Tacho hat, bekäme demnach zum Beispiel künftig 1 Punkt statt 3 Punkte. Die „Höchststrafe“, der Entzug des Führerscheins, soll voraussichtlich bereits ab 8 Punkten greifen; bisher sind es 18. „Das klingt drastisch“, räumt Ramsauer ein. Dies relativiere sich aber, da auch die Punktezahlen für die jeweiligen Delikte sinken sollen. Ein volles Konto von 14 und mehr Punkten hatten zuletzt etwa 62 000 Autofahrer, meist Männer. Das sind weniger als ein Prozent der erfassten Fahrer.
Was sagen Experten zu der Systemumstellung?
Die Versicherungsbranche hält die Stoßrichtung für gut. Studien belegten, dass nicht die Punktezahl entscheidend für die Ermittlung notorischer Verkehrssünder sei, sondern die Zahl der Delikte. Dagegen sehen Juristen auch Nachteile: „Es erscheint höchst problematisch, wenn zur Verwaltungsvereinfachung kleine Nachlässigkeiten eines ansonsten verantwortungsbewussten Autofahrers mit dem bedenkenlosen Fehlverhalten von Verkehrsrowdies gleichgesetzt werden“, sagt Oskar Riedmeyer, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins. Der Autoclub Europa hat ebenfalls Bedenken gegen eine radikale Beschränkung auf ein zweigeteiltes Punktesystem mit zu wenig Differenzierungen.
Was passiert mit alten Punkten?
Die SPD warnt, bei einer Umstellung dürfe es keinen Straferlass geben. „Alle Punkte, die gesammelt wurden, müssen ihre Gültigkeit behalten und umgerechnet werden“, sagt Verkehrsexperte Sören Bartol. Bisher werden Punkte in Flensburg je nach Schwere des Vergehens nach zwei bis zehn Jahren gelöscht - wenn kein neuer Verstoß dazukommt. Angedacht ist nach Angaben der Unionsfraktion nun, dass künftig jeder Verstoß für sich verjähren soll - nach zwei oder drei Jahren.
Bringt die Reform mehr Sicherheit?
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisiert, es werde ein funktionierendes und akzeptiertes System auf den Kopf gestellt. „Sichere Straßen bekommt man vor allem durch eine konsequente Überwachung der dort geltenden Regeln“, mahnt GdP-Chef Bernhard Witthaut. „Das kann nur die Polizei, aber davon ist zu wenig da.“ Der Verkehrsclub Deutschland beklagt eine „Begünstigung von Rasern“.
Wann soll die Reform kommen?
Die Eckpunkte sollen als nächstes mit den Ländern und Verbänden diskutiert werden, plant das Verkehrsministerium. In Kraft treten könnte die mehrfach angekündigte Reform wohl im kommenden Jahr. Der Autoclub ACE fordert, Ramsauer müsse seine Pläne endlich offenlegen und Spekulationen beenden, die von ihm über Monate befeuert worden seien.