Nippon entdeckt die Nischen - Neuheiten der Motorshow in Tokio
Tokio (dpa/tmn) - Kleine Vans, große Limousinen: Auf den Straßen von Yokohama und Nagoya regiert der Einheitslook. Doch beim Heimspiel auf der Motorshow in Tokio entdecken die wiedererstarkten Hersteller aus Japan die Nischen - und zeichnen das Bild einer bunten Zukunft.
Kleine Preise, hohe Qualität und saubere Antriebe - damit sind die japanischen Automobilhersteller groß geworden. Doch Lust und Leidenschaft kommen einem beim Blick auf die Bestseller von Toyota und Co. nicht sofort in den Sinn. Bislang zumindest. „Es mangelt den Marken an der Emotionalisierung“, sagt Thorsten Wagner von der EBS-Universität in Oestrich-Winkel. Er vermisst den Funken, der auf die Kunden überspringt.
Das könnte sich bald ändern. Diesen Eindruck bekommt man bei einem Rundgang über die Motorshow in Tokio (Publikumstage: 23. November bis 1. Dezember). Denn dort präsentieren sich die japanischen Autobauer zwei Jahre nach der Erdbeben- und Reaktorkatastrophe in Fukushima stark und selbstbewusst wie lange nicht mehr. Vor allem zeigen sie ein bisschen Gefühl, suchen wieder den Spaß am Autofahren und drängen deshalb in zahlreiche Nischen. „Und dass, obwohl auf dem für alle Marken so wichtigen Heimatmarkt immer mehr Micro-Vans und sogenannte Kei-Cars verkauft werden“, sagt der deutsche Honda-Chef Katsushi Inoue mit Blick auf den Einheitslook der Zwergenautos in Städten wie Tokio oder Tochigi.
In der nach einem Trauerspiel vor zwei Jahren mittlerweile wieder ziemlich lebendigen großen Show von Tokio sieht man bei den heimischen Marken deshalb vor allem Coupés, Cabrios, Gelände- und Sportwagen. So zeigt die noble Toyota-Tochter Lexus ihr Portfolio um das elegante Mittelklasse-Coupé RC, das nach Angaben von Markenchef Mark Templin im nächsten Jahr weltweit in den Handel kommt. Flankiert wird es von einem kompakten Geländewagen, der noch ein wildes Studien-Styling hat, aber ebenfalls 2014 in Serie gehen wird.
Die Konzernmutter Toyota hat zwar neben dem GT-86 als seriennaher Roadster-Studie eher bodenständige Neuheiten für den Heimatmarkt auf dem Stand. Doch eine Tochterfirma aus der Region um Fukushima demonstriert nebenan den Yaris als Cabrio, das flankiert wird von einer Crossover-Variante des Yaris und einer Sportversion, die einem Polo GTI glatt die Schau stehlen würde.
Honda stellt dem SUV CR-V den kleineren Bruder Vezel zur Seite und will damit gegen Konkurrenten wie den Opel Mokka antreten. Abgeleitet vom Jazz soll der Vezel laut einem Firmensprecher unter anderem mit Hybridantrieb und der Option auf Allrad 2015 in den Handel kommen.
Neu ist auch der Honda S660 - ein nur 3,40 Meter langer Roadster, der mit seinem 0,66 Liter großen Dreizylindermotor in die Kategorie der Kei-Cars fällt und ebenfalls 2015 starten soll. Weil die Japaner das kleine Triebwerk im Ausland für unverkäuflich halten, wird der sportliche Zweisitzer vorerst nicht exportiert, sagt der deutsche Honda-Chef Inoue. Dabei müsste er sich nur eine Halle weiter den neuen Daihatsu Copen anschauen. Das würde ihn womöglich daran erinnern, dass sich solch ein Mini-Roadster durchaus auch in Deutschland verkaufen lässt. Zumal sich Daihatsu vom europäischen Markt zurückgezogen hat und der S660 damit konkurrenzlos wäre.
Keine Sorgen um die Akzeptanz des Motors muss sich Nissan beim GT-R machen. Der sportlichste Japaner steht auf der Messe mit retuschiertem Design und in einer von Nissans Motorsportabteilung Nismo nachgeschärften Version, deren 3,8 Liter großer V6-Motor dank neuer Turbolader auf 441 kW/600 PS kommt. Da kann der neue Subaru Levorg, der in Deutschland als Legacy angeboten wird, nicht mithalten - selbst wenn auch dieses Auto deutlich sportlicher gezeichnet ist und wie früher die Rallye-Autos eine Lufthutze auf der Haube hat.
Leistungsstarke Turbo-Modelle und schnittige Coupés sind auf der Motorshow in aller Munde, Öko-Technik ist dagegen fast kein Thema mehr: Über den Hybridantrieb spricht man nicht - den hat man einfach. Auch Elektroautos sind bei den meisten japanischen Marken längst Standard. Einzige Ausnahme ist Mazda. Der Hersteller aus Hiroshima hat um alternative Antriebe bislang einen Bogen gemacht und holt jetzt in Tokio das Verpasste nach: Auf der Messe gibt es den Mazda3 als seriennahe und auch für den europäischen Markt denkbare Studie mit Erdgas-Motor zu sehen sowie als erstes Hybridmodell der Marke zu sehen, das aber vorerst nur für Japan gedacht ist.
Andere Hersteller sind da deutlich weiter. Der Mitsubishi-Stand zum Beispiel steht voller Plug-in-Hybridmodelle. Und Toyota und Honda liefern sich ein Wettrennen bei der Brennstoffzelle. Beide Marken wollen den Wasserstoffantrieb ab 2015 anbieten und zeigen diese Woche entsprechende Studien. Zum direkten Showdown kommt es aber nicht: Während Toyota das stromlinienförmige FCV Concept in Tokio enthüllt hat, zieht Honda das Tuch von seinem Brennstoffzellen-Auto auf der Motorshow in Los Angeles (Publikumstage: 22. November bis 1. Dezember).
Asien oder Amerika? Diese Frage haben sich auch die europäischen Autobauer gestellt - und mit einer salomonischen Lösung beantwortet: Sie haben sich den Zeitunterschied zunutze gemacht und ihre Neuheiten auf beiden Kontinenten gleichzeitig enthüllt: Das Kompakt-SUV Porsche Macan, der neue Mini, das F-Type Coupé von Jaguar und die Sportlimousine Mercedes S 65 AMG sind auf beiden Messen zu sehen.
Nur der VW Twin-Up, der als Plug-in-Hybrid mit Zweizylinder-Diesel und 1,1 Liter Normverbrauch laut Hersteller zum sparsamsten Viersitzer der Welt wird, gibt allein in Tokio seinen Einstand. Obwohl der kleine Spritsparer noch als Studie gilt, wirkt er neben den ebenso visionären wie verspielten Konzeptautos der Japaner beinahe wie aus dem Museum.
Ein Lenkrad, vier Räder, eine konventionelle Karosserie? Wenn man sich Fahrzeuge wie den elektrisch angetriebenen und mit Gewichtsverlagerung ohne Lenkrad gesteuerten Toyota FV2, den wie ein Jet für die Straße gestylten Nissan Bladeglider oder den etwa für Flughäfen gedachten Elektro-Hocker Unicab B von Honda anschaut, scheint das alles bald überflüssiger Ballast zu sein.
Viele dieser Studien sind zwar kaum mehr als bunte Fantasiegebilde aus Plastik und von der Wirklichkeit noch Jahre entfernt. Doch glaubt man Toyota-Chef Akio Toyoda, der auch dem Verband der japanischen Automobilhersteller vorsteht, meinen es Nippons Autobauer ernst mit der Revolution des Individualverkehrs: „Wenn 2020 die Olympischen Spiele nach Tokio kommen, werden die japanischen Autohersteller eine neue Autowelt präsentieren, wie man sie noch nicht gesehen hat.“