Phantombilder der Motorpresse oft verblüffend genau

Stuttgart (dpa/tmn) - Über neue Modelle sprechen Fahrzeughersteller meist lange, bevor es erste Entwicklungsergebnisse zu sehen gibt. Dann prescht die Fachpresse mit eigenen Skizzen vor, um die Autos und Motorräder der Zukunft zeigen - und liegt oft erstaunlich richtig.

So mancher Hersteller gibt hinter vorgehaltener Hand zu: Wenn die Motorpresse Phantombilder der späteren Neuheiten zeigt, liegt sie damit oft ziemlich richtig. Nur: Wie ist das möglich? Was der Leser von Magazinen wie „Auto Bild“, „auto, motor und sport“, „Motorrad“ und anderen Titeln der Motorpresse nicht mitbekommt, ist das Spielchen hinter den Kulissen zwischen Industrie und Journalisten. Da wird um jede Information gefeilscht, da werden seitens der Industrie Details gezielt verbreitet oder aber mit aller Macht zu verschweigen versucht.

Ralf Schneider ist in Stuttgart bei der Zeitschrift „Motorrad“ für die am Computer erstellten Designskizzen verantwortlich. Im Jahr 2007 zeigte er den Lesern die Zeichnung eines neuen 6-Zylinder-Motorrads von BMW, das fast vier Jahre später als K 1600 GT und GTL auf den Markt kam. Mit der Skizze traf die „Motorrad“ recht gut ins Schwarze. Wie viele Informationen die Industrie Vorfeld für solche Zeichnungen bekanntgebe, hänge ganz vom einzelnen Modell ab, erklärt Schneider.

Gibt es ein Vorgängermodell und muss dies auch noch möglichst lange weiter verkauft werden, sei die Geheimniskrämerei besonders groß, sagt Schneider. „Da wird mit aller Macht gemauert. Anders sieht es aus, wenn neue Modellreihen einer Firma auf den Markt kommen. Dann werden plötzlich gezielt Details an uns weitergereicht“, berichtet er. Die Industrie will auf diese Weise testen, wie potenzielle Fahrzeugkäufer auf die Neuheit reagieren, um möglichst nicht von einem Flop böse überrascht zu werden.

Auf Anfrage zeigen sich die meisten Autohersteller und auch die Redaktionen der Fachzeitschriften bei diesem Thema zugeknöpft. BMW zum Beispiel wollte sich aus PR-strategischen Gründen nicht äußern, wie es dort hieß. Ford in Köln gab sich offener und bestätigt: „Manchmal kommt ein Auto aus dem Redaktionscomputer der Realität ziemlich nahe.“ Es gebe aber auch Fehlgriffe, sagt Pressesprecher Isfried Hennen. Welche Informationen Ford im Vorfeld an die Journalisten weiterreicht, hängt nach seiner Aussage vom Modell und vom Einführungstermin ab. „Es stimmt, zwischen uns und der Motorpresse gibt es ein gegenseitiges Nehmen und Geben.“ Für Ford bestätigt Hennen auch, dass der Autohersteller Infos gezielt streut, um Marktreaktionen auf neue Modelle auszuloten.

Motorrad-Experte Ralf Schneider arbeitet seit Jahren mit einem externen Fachmann zusammen, wenn es um die Phantombilder neuer Zweirad-Modelle geht. Schneider, ein ausgebildeter Historiker, füttert den freischaffenden Produktdesigner Stefan Kraft aus Stuttgart mit Informationen zu einer Modellneuheit. „Die Hersteller halten sich immer an bestimmte Muster, die für die Marke typisch sind. Mit dem Blick des Historikers entwickle ich diese auf Basis vorliegender Informationen weiter“, erklärt Schneider.

Dann kommt Stefan Kraft ins Spiel. Er entwirft mit einem digitalen Stift auf einem Tablet-Monitor eine Skizze des neuen Motorrads. In der Motorpresse beliebt sind auch realistisch anmutende Grafiken, die sich von Fotos kaum unterscheiden, aber viel aufwendiger zu erstellen sind. „Ich überlege mir, wie eine logische Fortführung der Firmensprache bei einer bestehenden Modellreihe aussehen könnte“, erklärt Kraft, der seit 34 Jahren selbst Motorrad fährt. Neben den Hinweisen aus der Redaktion verwendet Kraft für seine Skizzen eigene Rechercheergebnisse, um dem späteren Fahrzeug möglichst nahe zu kommen. Für eine Zeichnung benötige er zwei bis vier Tage.

Mehr Einzelheiten über die Entstehung der Phantombilder will niemand preisgeben - weder in Kreisen der Fachpresse noch der Hersteller. Ralf Schneider gesteht allerdings ein, dass die Arbeit in den vergangenen Jahren etwas einfacher geworden ist. „Ein Grund ist der Kostendruck in der Industrie. Die Firmen betreiben nicht mehr den großen Aufwand, um ihre Produkte zu verstecken. Statt auf abgeschirmten Flächen fahren die Zweiradtester immer öfter auf öffentlichen Straßen. So kommen wir mit Hilfe von Fotografen einfacher an Informationen zu neuen Modellen.“