Plötzlich Lebensretter - Was Unfallhelfer wissen müssen

Berlin (dpa/tmn) - Ein heftiger Knall, zwei Autowracks - und schon ist man als Unfallzeuge mittendrin im Geschehen: Verletzten zu helfen ist Pflicht. Gut für Ersthelfer und Hilfsbedürftige, wenn gleich alle Handgriffe sitzen.

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Es ist die reinste Horrorvorstellung für viele Autofahrer, plötzlich in die Rolle des Ersthelfers zu geraten. Nach Erkenntnissen der Dekra hat fast die Hälfte Angst, dabei Fehler zu machen. Aber einer ist nun mal immer der erste am Unfallort. Und laut dem Statistischen Bundesamt ereigneten sich allein in den ersten zehn Monaten des vergangenen Jahres rund 255 000 Unfälle mit Verletzten auf deutschen Straßen. Die Wahrscheinlichkeit, plötzlich als Helfer gefordert zu sein, ist also gar nicht so gering. Experten beantworten typische Fragen verunsicherter Verkehrsteilnehmer:

Kann ich als Ersthelfer für Fehler bestraft werden?

Der einzige Fehler, für den Unfallzeugen bestraft werden können, ist tatenlos zuzusehen und nicht wenigstens Rettungskräfte zu alarmieren: Für unterlassene Hilfeleistung sieht das Strafgesetzbuch eine Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Haft vor, erklärt Verkehrsjuristin Yasmin Domé vom Auto Club Europa (ACE). Sofern ein Ersthelfer nach bestem Wissen und Gewissen handelt, grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz also auszuschließen sind, hat er nichts zu befürchten - übrigens auch nicht wegen Sachbeschädigung, wenn er zum Beispiel ein Kleidungsstück eines Verletzten zerreißt. Entstehen dem Helfer Schäden, wie Blut auf der Kleidung, müssen dafür laut Domé Unfallverursacher, Opfer oder als letzte Instanz die gesetzliche Unfallversicherung aufkommen.

In welcher Reihenfolge sollte ich helfen?

Vier von fünf Menschen in Deutschland können diese Frage laut dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) nicht richtig beantworten. Korrekt ist: Unfallstelle absichern, Überblick verschaffen, Notruf absetzen, Erste Hilfe leisten. „An erster Stelle steht immer die Eigen- und Fremdsicherung“, betont Ralf Sick, Bereichsleiter Erste Hilfe in der Bundesgeschäftsstelle der Johanniter-Unfall-Hilfe. Immer wieder kommt es vor, dass Ersthelfer durch nachfolgenden Verkehr wegen fehlender oder unzureichender Absicherung verletzt oder sogar getötet werden.

Wie kann man den Zustand von Verletzten einschätzen?

„Schon auf den ersten Blick kann man anhand von Aussehen, Position und Verhalten des Betroffenen viel über dessen Zustand erkennen“, sagt Sick. Liegt ein Verletzter regungslos da, sollten Helfer zunächst versuchen, ihn durch lautes Ansprechen und leichtes Rütteln an der Schulter aufzuwecken. Gelingt das nicht, muss die Atmung kontrolliert werden. „Dazu beugen Sie sich zur Person nieder und prüfen, ob Sie an ihrer Wange die Atemluft spüren, ob Sie Atemgeräusche hören und ob sich der Brustkorb hebt und senkt“, erklärt Sick. Wenn der Bewusstlose atmet, wird er in die stabile Seitenlage gebracht - atmet er nicht, sind Wiederbelebungsmaßnahmen erforderlich.

Wie ging das noch mit der Wiederbelebung?

Als Faustregel gilt: 30 Mal auf den Brustkorb drücken, 2 Mal beatmen - und wieder von vorn. „Der Betroffene liegt dabei mit entblößtem Oberkörper auf dem Rücken und Sie knien daneben. Platzieren Sie den Ballen einer ihrer Hände in der Mitte des Brustkorbs, stabilisieren Sie diese Hand mit der anderen“, so Sick. Dann senkrecht von oben mit durchgestreckten Armen vier bis fünf Zentimeter tief und ungefähr zweimal pro Sekunde drücken. Bewusstlose in einem Unfallauto müssen für die Wiederbelebung aus dem Fahrzeugwrack geholt werden.

Welche Verletzungen sollte man als erstes versorgen?

„Die Versorgung stark blutender Wunden ist wichtiger als die eines Knochenbruchs“, erklärt DRK-Bundesarzt Prof. Peter Sefrin. Auch bei der Wundversorgung unbedingt zuerst an den Eigenschutz denken und die Handschuhe aus dem Verbandkasten anziehen, ergänzt Sick von den Johannitern. Ganz wichtig: Da Verunglückte durch einen Schock plötzlich ohnmächtig werden können, sollten sie bei der Behandlung sitzen oder liegen. Vor Unterkühlung, die selbst bei Sommerhitze droht, schützt die Rettungsdecke aus dem Verbandkasten. Die hat laut Sick obendrein eine wertvolle psychologische Wirkung: Sie gibt Geborgenheit und bietet Schutz vor den Blicken Umherstehender.

Darf man verunglückten Motorradfahrern den Helm abnehmen?

„Man muss“, lautet Prof. Sefrins Antwort. Der Grund: Bewusstlose Biker können nur richtig versorgt werden, wenn der Schutzhelm runter ist. „Auch ein Aufkleber am Helm, dass der Motorradfahrer die Helmabnahme nicht wünscht, darf einen nicht davon abhalten“, sagt Ralf Sick. Kopf und Hals des Unfallfahrers sollten möglichst wenig bewegt werden - am besten gelingt das zu zweit, und zwar so: Visier und Kinnriemen öffnen, danach den Kopfschutz längs vom Körper weg vorsichtig abziehen, bis sich der Hinterkopf fassen und abstützen lässt. Dann kann der Helm ganz heruntergezogen werden.

Was tun, wenn ich alleine mehrere Verletzte vorfinde?

Je eher man in dieser Situation den Notruf absetzt, desto schneller sind weitere Helfer da. „Schauen Sie danach, wer aus ihrer Sicht am dringendsten ihre Hilfe benötigt“, rät Sick. „Versuchen Sie auch, Leichtverletzte zu motivieren, anderen zu helfen.“ Wer bei einem Unfall glimpflich davongekommen ist, steht trotzdem unter Stress. Da können konkrete Hinweise, was zu tun ist, hilfreich sein.

Wie oft sollte man seine Erste-Hilfe-Kenntnisse auffrischen?

Die Johanniter empfehlen alle zwei Jahre einen Wiederholungskurs, DRK-Arzt Sefrin rät dazu alle drei bis fünf Jahre. Dabei lässt sich das Erste-Hilfe-Wissen auffrischen, erweitern und vor allem anwenden - laut Ralf Sick ein wesentlicher Punkt, denn: „Wer sich praxissicher fühlt, geht beherzter und selbstsicherer an einen Notfall heran.“ Die Bereitschaft zu helfen ist dann höher.