Richtig bremsen will gelernt sein - Fahrtrainings für Autobesitzer

Bonn (dpa/tmn) - Ein Kind springt zwischen parkenden Autos hervor, auf der Straße ist plötzlich Öl. Was nun? Rund 300 000 Fahrer pro Jahr lernen bei Fahrsicherheitstrainings, auf Verkehrsgefahren besser als vorher zu reagieren.

Zu wenige, wie Experten finden.

60 Prozent der Auffahrunfälle in Deutschland könnten vermieden werden, wenn die betreffenden Autofahrer eine halbe Sekunde schneller reagieren würden. Dies sagt Jürgen Bente vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat(DVR). Und er möchte damit verdeutlichen, wie wichtig Fahrsicherheitstrainings sind. Bei ihnen wird die Reaktionsschnelligkeit trainiert und auch die sogenannte Gefahrbremsung, die laut Bente etwa 90 Prozent der deutschen Autofahrer nicht beherrschen.

Im Ernstfall brauche ein untrainierter Autofahrer 0,7 bis 0,9 Sekunden, um so zu bremsen, dass sein ABS reagiert, ein trainierter nur 0,3 Sekunden, sagt der Verkehrsexperte. „Und Zeit, die ich einmal verschenkt habe, hole ich nie wieder rein.“ In brenzligen Situationen, in denen Sekundenbruchteile zählen, kann das fatal sein.

Selbst die ausgefeilteste Technik kann im Extremfall den Unfall nicht verhindern, umso wichtiger ist das angemessene Verhalten der Fahrer im Straßenverkehr. „Trotz ESP und allem: Die Fahrphysik könnt ihr nicht überlisten“, betont Fahrtrainer Gerhard Herrmann in seinen Kursen, die er bei der Landesverkehrswacht Niedersachsen anbietet.

Die Annehmlichkeiten der Technik sorgen nach Meinung von Experten zudem dafür, dass sich Fahrer oft zu sicher fühlten: „ABS ist wunderbar, aber es verführt auch dazu, an die Grenzen zu gehen“, warnt der Verkehrspsychologe Winfried Schmidt, der unter anderem als Berater beim Auto Club Europa(ACE) arbeitet. Viele beherrschten zudem die einfachsten Regeln der Physik nicht, ergänzt Herrmann. Wer in Kurven mit doppelter Geschwindigkeit fahre, sei der vierfachen Fliehkraft ausgeliefert.

Bei allem theoretischen Verständnis - bei Fahrsicherheitstrainings sind die praktische Erfahrungen das A und O. In der Regel absolvieren die Teilnehmer die Aufgaben mit dem eigenen Auto. Bei einer Übung lässt Herrmann den Wagen aus unterschiedlichen Geschwindigkeiten abbremsen. Dabei müssen die Teilnehmer vorher dort Hütchen aufstellen, wo sie das Ende der Bremswege vermuten. „Bei 40 km/h liegen sie zwei bis drei Wagenlängen daneben.“ Bei 80 km/h verschätzen sich die meisten noch mehr.

Eine gängige weitere Übung ist das Bremsen und Ausweichen auf glatten Flächen. Fast allen Teilnehmern bereite dies Schwierigkeiten, sagt Alfina Baha, die jahrelang als Trainerin in der Nähe von Kassel arbeitete. „Instinktiv lenken sie dabei zu viel, das ist der größte Fehler.“ Auch hier gibt es Lernpotenzial für Autofahrer - selbst für Vielfahrer, die nach jahrelanger, unfallfreier Fahrpraxis glaubten, sie könnten schon alles, weiß Baha aus Erfahrung.

Teilnehmer bei Fahrsicherheitstrainings sind oft Firmenmitarbeiter mit Dienstwagen, deren Unternehmen ihnen einen Kurs spendiert, berichtet Winfried Schmidt. Eine höhere Quote würde er sich dagegen unter den Fahranfängern wünschen. Doch oft fehle es ihnen an Geld für die Teilnahmegebühr. Eltern, die ihren Kindern ein Auto kaufen, rät er, lieber auf Motorleistung zu verzichten und stattdessen Geld in ein Training oder die Sicherheitsausstattung zu investieren.

Ein anderes Motiv für die Teilnahme ist, wenn ein neues Auto in der Garage steht. „Viele machen dann ein Training“, sagt DVR-Experte Bente. Das sei allein schon deshalb sinnvoll, weil jedes Auto etwas anders reagiere. Angst um die teure Neuanschaffung müsse sich beim Training niemand machen, die Fahrzeuge seien immer versichert. Die genauen Bedingungen variieren laut Bente je nach Veranstalter: „Wer die Selbstbeteiligung auf Null senken will, muss vielleicht ein bisschen drauflegen.“ Unfälle beim Training sind nach Bentes Erfahrung allerdings äußerst selten.

Die Kosten für das Fahrsicherheitstraining selbst liegen zwischen 80 und 180 Euro für einen Tag, weiß der DVR-Referent. Teurer werde es, wenn der Platz speziell für Trainingseinheiten mit Hindernissen oder speziellen Flächen, die etwa festgefahrenen Schnee simulieren, ausgestattet sei.

Zu den gängigen Anbietern von Fahrsicherheitstrainings gehören Autoclubs, Verkehrswachten, Prüforganisationen oder Fahrlehrerverbände. Der Verkehrssicherheitsrat bemüht sich dabei um eine einheitliche Trainerausbildung, die er durch ein DVR-Qualitätssiegel belegt. Auf der DVR-Webseite können entsprechende Schulungsangebote nach Postleitzahl recherchiert werden.

Neben Kursen für Autofahrer gibt es auch Angebote für Motorrad-, Nutzfahrzeug- und professionelle Geländewagenfahrer. Doch Bente möchte möglichst jeden Kraftfahrer für die Teilnahme an einem Fahrsicherheitstraining gewinnen. Es gebe viel zu viele vergleichsweise untrainierte Fahrzeuglenker. „Und die fahren jeden Tag vor und hinter Ihnen - das ist ein unangenehmes Gefühl.“