So lernen Kinder spielend Radfahren

Bremen (dpa/tmn) - Manche Dinge verlernt man nicht - das ist wie mit dem Radfahren, heißt es. Doch bis Kinder im Sattel bleiben, benötigen sie viel Übung. Eltern sollten sich eine gute Strategie zurechtlegen, denn Radfahren lässt sich spielerisch am besten trainieren.

Mit einer roten Schleife am Lenker stand es morgens in der Küche: Sein erstes Fahrrad hat Manuel zum dritten Geburtstag bekommen. Am liebsten wäre er sofort nach dem Frühstück aufgestiegen und durch die Siedlung gedüst. Zusammen mit den älteren Kindern aus der Nachbarschaft, mit denen er auf seinem Laufrad nie mithalten konnte. Bei der Jungfernfahrt im Garten holte die Schwerkraft den Jungen nach knapp drei Metern auf den Boden der Tatsachen zurück: Einfach losfahren funktioniert nicht, Radfahren muss man lernen. Aber wie?

„Eltern sollten sich zunächst nach Übungsplätzen umsehen“, rät Bettina Cibulski vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) in Bremen. Perfekt eignen sich Stadtparks, Schulhöfe oder Supermarktparkplätze an Sonntagen: Dort gibt es keinen Verkehr und kaum Hindernisse, die bei einem Sturz gefährlich werden könnten. Denn dass Kinder bei ersten Fahrversuchen auf die Nase fallen, lässt sich nicht vermeiden.

„Stürze gehören zum Lernen dazu und führen meist nur zu kleinen Schrammen - da dürfen Eltern nicht zu ängstlich sein“, betont Achim Schmidt, der an der Deutschen Sporthochschule Köln das pädagogische Projekt „Radschlag“ verantwortet. Wer zum Nervenbündel wird, wenn der Nachwuchs anfangs ständig ins Straucheln gerät, dem legt der Experte eine ebene Rasenfläche als Trainingsgelände ans Herz: „Auf Gras landen Bruchpiloten weicher als auf Asphalt.“ Außerdem hilft der Fahrradhelm, das Verletzungsrisiko zu minimieren. An den Kopfschutz sollten Kinder sofort gewöhnt werden.

Mit Stützrädern sind Trainingsstürze ausgeschlossen. Allerdings halten Schmidt und andere Fachleute nichts von den kleinen Zusatzrädern. Denn sie verfälschen das Fahrgefühl, das Radlern in Fleisch und Blut übergehen muss, um sicher im Sattel zu sitzen, sagt der Wissenschaftler. „Stützräder unterdrücken die Pendelbewegung, die beim Fahrradfahren erforderlich ist, um das Gleichgewicht zu halten.“

Besonders schnell bleiben Kinder beim Radfahren in der Balance, wenn sie vorher schon auf Achse waren: Ab einem Alter von zehn Monaten empfiehlt Schmidt ein Rutschauto und ab zwei Jahren einen Tretroller oder ein Laufrad, um Gleichgewichtssinn und Motorik zu schulen. Fit fürs Fahrrad seien Kinder in der Regel erst ab ihrem dritten Geburtstag.

Für erste Fahrraderfahrungen rät Bettina Cibulski zu Spielrädern, die rund 150 Euro kosten. „Sie sind schön klein und handlich, aber im Prinzip nicht mehr als Laufräder mit Pedalen und Bremse“, erklärt die ADFC-Sprecherin. Deshalb sollten Eltern später für ein größeres und verkehrssicher ausgestattetes Kinderrad mindestens weitere 300 Euro einplanen.

Geht es ans Üben, ist es wichtig, dass Nachwuchsradler von Anfang an selbstständig fahren. „Ein kleiner Anschub ermutigt dazu, in die Pedale zu treten und selbst das Gleichgewicht zu halten. Wird ein Kind geschoben oder am Arm festgehalten, stört das den Lernprozess“, erläutert Achim Schmidt. Liegt Mamas oder Papas Hand ganz locker auf dem Rücken, gebe das dem Kind genügend Sicherheit.

Gelingt das Geradeausfahren einigermaßen gut, sollte die richtige Haltung trainiert werden: „Damit das Kind lernt, den Blick beim Fahren nach vorne zu richten und aufrecht zu sitzen, fährt es am besten auf eine vertraute Person zu. Läuft diese neben dem Kind her, wirkt sich das eher kontraproduktiv aus“, sagt Schmidt.

Je sicherer Juniorradler werden, desto mehr ist die Kreativität der Eltern gefordert. Schmidt appelliert an die Erwachsenen: „Lassen Sie sich ein paar Spielchen einfallen und machen Sie diese auf Ihrem eigenen Rad mit.“ Das steigert die Spannung und Trainingseffizienz. Seine Vorschläge: Slalom um Flaschen oder Bäume fahren, mit nur einer Hand am Lenker radeln, während der Fahrt einen Ball wegschießen, Bordsteine überwinden oder möglichst langsam fahren. „Dadurch bekommen Kinder ein besseres Gefühl fürs Fahrrad und bleiben motiviert“, sagt er. Noch mehr Spaß mache das Ganze, wenn mehrere Kinder mit von der Partie sind.

Hat ein Radanfänger keine Lust mehr zum Üben, weil er zum Beispiel zu oft hingefallen ist, müssen Eltern das akzeptieren. „Schnelle Erfolge erzwingen zu wollen, bewirkt das Gegenteil“, warnt Schmidt. Eine Fahrpause darf ruhig mehrere Wochen dauern. Damit die Kleinen in der Zwischenzeit ihre Motorik und ihren Gleichgewichtssinn weiter ausbilden, kann das Kinderrad zum Laufrad umgebaut werden. Dafür den Sattel möglichst tief einstellen und die Pedale abmontieren - fertig.

Und wann sind junge Fahrradfahrer fit für erste Ausflüge in den Straßenverkehr? „Sie müssen bremsen, die Hand zum Abbiegen ausstrecken und nach hinten schauen können, ohne dabei ins Schlingern zu geraten“, erklärt Hannelore Herlan von der Deutschen Verkehrswacht (DVW). Auf Spielstraßen und in Tempo-30-Zonen sollten sie langsam an das Verkehrsgeschehen herangeführt werden. „Die Regeln am besten vor Ort an Kreuzungen und anderen Gefahrenpunkten erklären und nicht am Mittagstisch“, rät Herlan.

Für Übungen auf der Straße sollten Kinder mindestens sechs Jahre alt sein, sagt Achim Schmidt. Ab etwa acht Jahren können sie Verkehrsgefahren einordnen. Denn erst dann sind junge Menschen fähig, rechts und links korrekt zu unterscheiden und Verkehrsgeräusche selektiv wahrzunehmen. Weitere zwei Jahre dauert es laut Schmidt, bis Augen, Ohren, Motorik und Koordinationsvermögen beim Radeln perfekt aufeinander eingespielt sind: „Wirklich sicher können sich Kinder ab dem elften Lebensjahr im Verkehr bewegen.“