So sehen Autos Straßen und Schilder

Brüssel (dpa/tmn) - Der Mensch ist der größte Risikofaktor im Straßenverkehr. Was ihm an Aufmerksamkeit fehlt, gleicht zunehmend die Technik aus. Doch auch die „Augen“ des modernen Autos, also Kameras und Sensoren, haben noch ihre Schwächen.

Das Auto lernt lesen: Mit Kameras sowie Radar- und Infrarotsensoren erfasst es immer größere Teile seiner Umwelt. So erkennt es, was der Fahrer vielleicht übersehen hätte. „Das gilt für Fahrbahnmarkierungen genauso wie für Verkehrszeichen“, erläutert Hans-Georg Marmit von der Sachverständigenorganisation KÜS in Losheim am See.

Waren solche Technologien lange Zeit Oberklasselimousinen wie der Mercedes S-Klasse, dem 7er BMW oder dem Audi A8 vorbehalten, gibt es sie mittlerweile auch in günstigeren Fahrzeugen: Im VW Tiguan, Opel Astra oder 1er BMW sind Assistenzsysteme erhältlich, die Tempolimits erkennen und den Fahrer bei der Spurführung unterstützen. „Das vermeidet mitunter hohe Bußgelder und erhöht vor allem die Sicherheit“, sagt Marmit.

„Die Straßenränder in Europa sind voll mit Kränzen und Kreuzen“, klagt Michiel van Ratingen, Generalsekretär des Sicherheitsverbandes Euro NCAP in Brüssel. Jeder vierte Todesfall auf der Straße sei auf das unbeabsichtigte Verlassen der Fahrbahn zurückzuführen. Auch er begrüßt Systeme wie die Spurführungshilfe: „Über 2000 Menschenleben könnten dadurch pro Jahr in Europa gerettet werden.“ Die Geschwindigkeitswarnung sei ebenfalls ein wichtiges Assistenzsystem, weil es zur Einhaltung von Tempolimits führe. Als Nebeneffekt schütze es den Führerschein.

Technisch sind die neuen Assistenten relativ weit entwickelt. Die Verkehrszeichenerkennung zum Beispiel, die vor allem auf einer hinter dem Rückspiegel montierten Videokamera und einer Bildanalyse fußt, liest mittlerweile nicht nur Tempolimits. Sie kann bei einigen Herstellern schon Überholverbote erkennen. „Und mittelfristig werden wir dem Auto auch die Vorfahrtsregeln beibringen“, sagt ein Mercedes-Entwickler mit Blick auf den derzeitigen Vorzeige-Versuchsträger aus Stuttgart, die Studie F125.

Auch die Fahrspurerkennung hat sich dramatisch verbessert. Als das System vor mittlerweile fast zehn Jahren eingeführt wurde, gab es nur eine Warnung für den Fahrer. „Die reichte vom Signalton bis zum lästigen Klopfen im Sitzkissen“, erinnert sich KÜS-Sprecher Marmit. Heute sind die Systeme subtiler. Sie warnen nicht nur, sondern greifen korrigierend ein: „Wir nutzen dafür die Regeltechnik des elektronischen Stabilitätssystems“, erläutert Mercedes-Sprecher Michael Allner. „Damit bremsen wir etwa in der S-Klasse ganz sanft einzelne Räder so ab, so dass der Wagen automatisch wieder auf den richtigen Kurs kommt.“

Zum gleichen Ziel kommt Audi mit anderer Technologie: Im neuen A6 greife die Elektronik der elektrischen Servolenkung direkt ein und steuere den Wagen alleine zurück auf die Ideallinie, erläutert Pressesprecher Josef Schloßmacher. „Allerdings lässt sich dieser Impuls vom Fahrer jederzeit mühelos übersteuern.“

Dass solche Systeme bisweilen mit mehreren hundert Euro in den Preislisten der Neuwagen stehen, ficht Experten wie Marmit nicht an. „Schon wenn einem die Verkehrszeichenerkennung das erste Bußgeld erspart hat, sind die Mehrkosten wieder drin. Und ein verhinderter Unfall ist ohnehin mit Geld nicht aufzuwiegen“, sagt der KÜS-Experte.

In der Theorie mag das stimmen. Doch sollte man sich auf die Verkehrszeichenerkennung nicht vollends verlassen. In Tests von Fachzeitschriften und Automobilclubs können die Systeme nur beschränkt punkten. So hat der ADAC in München die Lösungen von Audi, BMW, Mercedes, VW und Opel überprüft und nie die Bestnote vergeben: „Drei Systeme schnitten mit gut ab, zwei mit befriedigend“, teilte der Club mit. Bemängelt wurden vor allem Fehlleistungen bei Schilderbrücken, etwa auf Autobahnen, und die beschränkte Anzahl der überhaupt erkennbaren Verkehrszeichen.

Doch es gibt auch anders gelagerte Kritik im Zusammenhang mit dem Auto, das die Straße lesen lernt: „Es wurden Millionen ausgegeben, um solche Technologien zu entwickeln“, sagt John Dawson vom European Road Assessment Programme (EuroRAP) in Basingstoke. „Aber bislang kümmert sich kaum jemand darum, wie gut es tatsächlich um Markierung und Beschilderung der Fahrbahn bestellt ist.“ Wenn sich an der dürftigen Infrastruktur etwas ändern sollte, profitierten davon nicht nur Fahrzeuge mit der modernen Ausstattung, argumentiert Dawson: „Was die Kamera besser erkennt, kann auch das menschliche Auge leichter sehen.“