Umdenken für eine neue Zeit - Autobauer brechen mit Prinzipien

Genf (dpa/tmn) - Auch bei den Autobauern wandeln sich die Werte: Die Gralshüter des Heckantriebs entdecken die Vordachse, die Verfechter des Saugmotors den Turbo, und bei einem Kleinwagen läuft alles andersherum - auf dem Genfer Salon gerät manches Prinzip ins Wanken.

Es gibt nicht viel - außer den vier Rädern, was ein BMW von 2014 und ein BMW von 1929, als die Firma ihr erstes Serienauto baute, gemein haben. Doch ein Merkmal zieht sich so konsequent vom ersten bis zum aktuellen Auto durch die Unternehmensgeschichte des Münchner Autobauers, dass der sogar vom Standard spricht: BMW meint den Heckantrieb.

Auf dem Genfer Salon (Publikumstage: 6. bis 16. März) hat das Unternehmen mit dem neuen Active Tourer nun aber ein Auto enthüllt, das sich praktischen Erwägungen mehr beugt, als vielleicht alle anderen Wagen der Marke. Es ist ein Van, und er wird über die vorderen Räder angetrieben. Ein Tabubruch - zumindest mit Blick durch die BMW-Brille.

Altgediente Prinzipien werfen aber auch andere Hersteller über Bord. „In der Industrie werden gerade einige klassische Glaubenssätze gebrochen“, sagt Analyst Christoph Stürmer. Man könnte auch sagen: Die Hersteller reagieren mit neuem Denken auf neue Zeiten.

Dass BMW sich bei dem Van vom Hinterradantrieb verabschiedet, hat vor allem zwei Gründe: Der Durchtrieb nach hinten koste mehr Platz und Flexibilität im Fond als es einer kompakten Großraumlimousine gut tue, erläutert Frank Niederländer, der Produktmanager des Active Tourer. „Sonst hätten wir weniger Fußraum und keine so variable Rückbank hinbekommen.“ Außerdem lasse sich die neue Frontantriebsarchitektur für alle Modelle unterhalb des 3ers sowie die gesamte Modellpalette der BMW-Tochter Mini nutzen, was die Kosten senke. Und natürlich: Das Van-Segment wächst, und da will BMW mitspielen.

Hinzu kommt: Vielen Kunden ist es egal, ob das Auto seine Kraft über die Hinter- oder Vorderachse auf die Straße bringt. Das zumindest ist die Einschätzung von BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess. Das gelte oft auch für die Zahl der Zylinder, weshalb BMW den Active-Tourer-Kunden gleich auch noch den ersten Dreizylindermotor in der jüngeren Markenhistorie schmackhaft machen will.

Während BMW seinen Standardantrieb aufgibt, dreht Renault den Spieß um - und stellt beim Generationswechsel des Twingo von Front- auf Heckantrieb um. Zwar büßen die Franzosen damit etwas Kofferraumvolumen und die verschiebbare Rückbank ein, muss Designchef Laurens van den Acker zugeben. „Doch für die Passagiere haben wir mehr Platz denn je.“ Obwohl der Twingo mit seinen rund 3,60 Metern um etwa zehn Zentimeter kürzer wird, sei er innen trotzdem geräumiger.

Außerdem profitiert beim Twingo die Agilität: „Wenn vorn kein Motor im Weg ist, können wir die Räder weiter einschlagen und kommen besser um die Kurve“, so van den Acker. Für ein Stadtauto ist das kein ganz nebensächliches Argument. Es gibt aber auch einen unternehmenspolitischen Grund für die Umstellung von Front- auf Heckmotor. Denn der Twingo ist in Kooperation mit Daimler entstanden und soll dort die Basis für den nächsten Smart bilden.

Bei Ferrari spielt sich der kleine Traditionsbruch beim Motor selbst ab: Die Italiener feiern in Genf das Comeback des Turboladers. Mehr als zwei Jahrzehnte lang schwor die Marke mit dem aufgebäumten Pferd im Emblem auf hochdrehende Saugmotoren. Im auf der Messe gezeigten Open-Air-Modell California T wird der Motor nun wieder beatmet. Der 3,9 Liter große Achtzylinder des 2+2-Sitzers biete nach der Modellpflege mit seinen 411 kW/560 PS nun 51 kW/70 PS mehr Leistung, bei maximal 760 Newtonmeter (Nm) fast 50 Prozent mehr Drehmoment und sei zudem im Alltagsverkehr um 15 Prozent sparsamer, rechtfertigte das Unternehmen den Schritt.

Bei Porsche gibt es Bemerkenswertes bei den Motor-Zylindern: In Genf glitzert am Stand des Sportwagenherstellers der neue Le-Mans-Rennwagen 919 Hybrid. Unter seiner Carbonhülle stecken Renntechnik und ein elektrischer Hilfsmotor - aber auch ein hoch aufgeladener Vierzylindermotor. In Porsche-Modellen sind bislang sechs Brennkammern aufwärts der Stand der Dinge. Doch offenbar kann man sich auch in Verkaufsmodellen wie dem neuen Kompakt-SUV Macan, dem Cayman oder dem Boxster bald ein Aggregat mit zwei Zylindern weniger vorstellen. „Die Entwicklungen wird in diese Richtung laufen, das Downsizing wird weitergehen“, kommentiert Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz.

Für Franz-Rudolf Esch von der EBS Universität in Wiesbaden sind die Entwicklungen bei den Herstellern schlichte Notwendigkeiten: „Die Marktanforderungen ändern sich, die Kundenbedürfnisse ändern sich, die Technologie ändert sich - also müssen sich auch die Marken mit ihren Angeboten anpassen. Wer sich nicht bewegt, der stirbt.“