Verkehrspsychologe sieht keinen Nutzen im Blitzen
Hannover (dpa) - Der Verkehrspsychologe Karl-Friedrich Voss bezweifelt die Wirkung von Blitzaktionen für die Sicherheit im Straßenverkehr. Er appelliert an das Bewusstsein der Bürger für mehr Selbstkontrolle.
In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen sowie Holland wurde 24 Stunden lang geblitzt. Was halten Sie von dem Blitzmarathon?
K.-F. Voss: „Die Aktion ist ein ehrenwerter Versuch, das Thema Verkehrssicherheit zu beleuchten. Ich finde es gut, dass dadurch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird, dass es an vielen Stellen Geschwindigkeitsüberschreitungen gibt. Ich zweifle jedoch daran, dass diese Kontrollen die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen.“
Wie begründen Sie Ihre Zweifel?
K.-F. Voss: „Es sind mir keine Zahlen eines Innenministeriums bekannt, die belegen, dass solche Großaktionen im Besonderen oder Geschwindigkeitskontrollen im Allgemeinen wirksam sind.“
Was ergeben Ihre wissenschaftlichen Forschungen?
K.-F. Voss: „Ich selber habe Daten erhoben zwischen 1995 und 2005, die meine Zweifel nicht ausgeräumt haben. Ich habe die Daten der Unfälle mit Getöteten und mit Schwerverletzten zwischen den Ländern Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern verglichen. Nur Bayern hatte in dieser Zeit systematisch Abstandskontrollen durchgeführt und hatte keine niedrigere Unfallrate als die anderen Länder. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass solche Maßnahmen der Fremdkontrolle für sich alleine nicht wirksam sind.“
Was könnte die Polizei machen aus den Daten, die sie während des Blitzmarathons erhebt?
K.-F. Voss: „Sie könnte die Anzahl der Tempoverstöße in Bezug auf die Anzahl der vorbeifahrenden Fahrzeuge ermitteln, eine Trefferrate daraus ableiten und so herausfinden, an welchen Stellen Tempolimits eingehalten werden oder nicht. Diese Daten müssten dann in Beziehung zu der Straßen- und Verkehrslage gesetzt werden, um zu verstehen, wie die Wirkung von Kontrollen erfolgt und verbessert werden kann. Das wird aber meines Wissens nicht getan. Die Polizei zieht keine Verkehrsdaten heran, um die Unfallrate zu ermitteln. Das kann ich nicht verstehen. Die Innenministerien arbeiten offenbar vorwissenschaftlich.“
Wie erklären Sie sich den Hang zur Raserei?
K.-F. Voss: „Die Gründe liegen auch in der Person des betreffenden Rasers. Es geht um Gefühle. Die Raser tun vermeintlich alles dafür, um schneller zu sein. Diese Fahrer bauen Stress ab, wenn sie das Gefühl haben, besonders schnell voranzukommen. Das Erlebnis der Gefahr spielt in so einer Situation eine geringere Rolle. Der Fahrer blendet aus, dass das Vorankommen durch einen Unfall enorm verzögert werden kann und der Zeitgewinn äußerst gering ist.“
Steht also die Straßenverkehrsordnung, deren Grundregel „ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“ ist, im unversöhnlichen Widerspruch zum Verhalten des Menschen?
K.-F. Voss: „Es geht nicht allen Leuten darum, sich 40 Jahre lang sicher im Straßenverkehr zu bewegen, sondern an einem bestimmten Tag ein bestimmtes Ziel besonders schnell zu erreichen. So ein Verhalten widerspricht dem Sinn der Straßenverkehrsordnung. Der Übergang von der Fremd- zur Selbstkontrolle würde die Sicherheit im Straßenverkehr erheblich erhöhen. Die Akzeptanz dieser Ordnung ist eine Kulturleistung. In meiner verkehrspsychologischen Praxis orientiere ich meine Klienten auf ihre Zukunft. Gerade junge Menschen können sich ihre Zukunft verbauen, wenn sie sich nicht an die Straßenverkehrsordnung halten.“