100 Jahre IBM: Ständiger Wandel als Rezept

Berlin (dpa) - Loch oder kein Loch - mit diesem Unterschied auf einer rechteckigen Pappkarte begann IBM vor 100 Jahren sein Geschäft mit der digitalen Datenverarbeitung. Die Position des Lochs in den Spalten und Zeilen der Karte bestimmte die Bedeutung des Zeichens.

Geändert hat sich seitdem nur das Medium für diesen binären Code: Auf die Pappe folgten magnetische Folien, Siliziumscheiben mit elektronischen Schaltungen, Träger für optische Signale und Versuche mit Nanopartikeln.

Mit Blick auf die Gründung von IBM am 16. Juni 1911 konnte Konzernchef Sam Palmisano daher sagen, das Unternehmen habe sich einerseits immer wieder neu erfunden. „Eine andere Sicht ist, dass wir ein Jahrhundert lang exakt die gleiche Sache gemacht haben.“

Dabei war das Unternehmen in seinen Anfängen eher ein Gemischtwarenladen. Es entstand als Zusammenschluss von drei verschiedenen Unternehmen: Die Computing Scale Company hatte nichts mit Computern zu tun, sondern stellte Waagen her. Die International Time Recording Company produzierte Uhren, und die Firma mit den Lochkarten war die bereits 1896 von Herman Hollerith gegründete Tabulating Machine Company. Hollerith war Sohn von Einwanderern aus der pfälzischen Ortschaft Großfischlingen bei Neustadt an der Weinstraße.

Seine Hollerith-Maschinen waren vor allem für den Staat interessant, der die Effizienz seiner Verwaltung verbessern wollte. Die schon 1910 gegründete Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft (Dehomag) belieferte unter anderem die Kaiserliche Werft in Kiel und die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin. Im Ersten Weltkrieg zählte die Dehomag zu den kriegswichtigen Betrieben, später wird sie mehrheitlich von IBM übernommen, wie der Konzern seit 1924 heißt. Die Abkürzung steht für International Business Machines.

In den 30er und 40er Jahren wurde die Lochkartentechnik der Dehomag auch vom NS-Regime genutzt - nach Recherchen des amerikanischen Autors Edwin Black für das Buch „IBM and the Holocaust“ auch zur systematischen Erfassung der jüdischen Bevölkerung. Inwieweit die Geschäftsführung in den USA Kenntnis von den Dehomag-Geschäften mit dem NS-Staat hatte, ist laut IBM bis heute umstritten.

Die gestanzten Lochkarten lieferten auch nach dem Krieg lange Zeit die Daten für Computer wie das System/360. Dieser 1964 vorgestellte und unter anderem in Böblingen ausgetüftelte Großrechner wurde erstmals für alle Zwecke entwickelt - vorher gab es jeweils spezielle Computer für Wissenschaft, Wirtschaft und Militär. IBM setzte damals ebenso einen einheitlichen Standard wie 1981 mit dem Personal Computer.

Der neue Trend der „Mikrocomputer“ wurde zuerst von Apple und Rechnern mit dem Betriebssystem CP/M von Digital Research bestimmt. Dann aber zog der IBM-PC an den Pionieren vorbei und legte die Grundlagen für die digitale Gesellschaft. Das Disk Operating System (DOS), das Betriebssystem für den PC, ließ IBM von Microsoft-Gründer Bill Gates entwickeln. Als die Bedeutung der Software deutlich wurde, entwickelte IBM ein eigenes Betriebssystem für den PC mit der Bezeichnung OS/2 - dies wurde 2005 eingestellt.

Als sich damals abzeichnete, dass mit dem PC immer weniger Geld zu verdienen war, trennte sich IBM von diesem Geschäft - ähnlich wie bereits 2003 von der Festplattensparte. Angesichts der ständigen Neuerungen in der Informationstechnik sei „die Vorwärtsbewegung der einzige Weg für ein High-Tech-Unternehmen, um sich von der Commodity-Hölle fernzuhalten“, sagt Vorstandschef Palmisano. Nur noch Commodity, Rohstoff, zu liefern, das ist für IBM eine schreckliche Vorstellung.

„Big Blue“, wie der Konzern mit seinem Hauptsitz in Armonk bei New York genannt wird, vertritt eine gehobene Firmenkultur, die jeder CeBIT-Besucher sofort spürt, wenn er auf der Computermesse in Hannover am IBM-Stand vorbeikommt. Dies fängt mit dem Äußeren der Mitarbeiter an - die 1915 für den Vertrieb eingeführte Anzugspflicht prägt die Armonker bis heute - und erstreckt sich bis zur jahrzehntelangen Konzentration auf das Geschäft mit Großkunden. Erst 2007 gab Palmisano die Parole aus, verstärkt auf die mittelständische Kundschaft zuzugehen.

Im vergangenen Jahr haben die rund 427 000 Mitarbeiter - unter ihnen 20 000 in Deutschland - einen Umsatz von 99,9 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Der Gewinn vor Steuern kletterte auf den Rekord von 19,7 Milliarden Dollar. Davon entfielen mehr als 90 Prozent auf Software, Dienstleistungen und Finanzierungen. Mehr als 70 Prozent der 2010 registrierten 5896 US-Patente betrafen Neuentwicklungen für Software und Dienstleistungen. Seit mehr als zehn Jahren unterstützt IBM auch die Open-Source-Szene um das freie Betriebssystem Linux.

Inzwischen verabschieden sich auch andere in der Branche vom PC-Modell und suchen ihr Glück in der Cloud, in der Verlagerung von IT-Prozessen aller Art in vernetzten Rechenzentren. Entsprechende Lösungen sind einer von vier Wachstumsbereichen der gegenwärtigen IBM-Strategie - neben dem Geschäft in Wachstumsmärkten wie China, Indien und Brasilien, Angeboten zur Analyse von Geschäftsdaten sowie Innovationen für einen „intelligenteren Planeten“.

Auf einer Jubiläumsfeier sagte die neue Vorsitzende der IBM-Geschäftsführung in Deutschland, Martina Koederitz, am Mittwochabend in Berlin, mit den Innovationen ihres Unternehmens in den letzten hundert Jahren sei die Welt „smarter geworden, vielleicht auch ein Stück besser“. Die Managerin fügte hinzu: „Ich bin überzeugt, dass dies auch in den nächsten hundert Jahren der Fall sein wird.“ IBM denkt da unter anderem an selbst lernende Systeme nach dem Modell des Quiz-Computers Watson, an die Analyse von großen Datenmengen für bessere Prognosen im Gesundheitswesen, für Verkehrssysteme der Zukunft oder auch in der Energieversorgung.