30 Jahre Btx-Hack: Das Ende der „sicheren“ Netze

Hamburg (dpa) - Der Chaos Computer Club war vor 30 Jahren nur wenigen Experten bekannt. Als zwei Club-Mitglieder vorführten, wie man eine Bank über Bildschirmtext quasi ausrauben kann, änderte sich alles.

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Dabei war der Coup möglicherweise gar kein echter Hack.

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„Klack-Klack, Klack-Klack“. Der Attacke von zwei Hackern auf die Hamburger Sparkasse vor 30 Jahren konnte man regelrecht zuhören. Wau Holland, der Mitbegründer des Chaos Computer Clubs, und sein Freund Steffen Wernéry hatten damals einen Weg gefunden, öffentlichkeitswirksam auf Schwachstellen im Bildschirmtext-System (Btx) der Deutschen Bundespost hinzuweisen.

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Der Onlinedienst Btx war am 1. September 1983 bundesweit gestartet worden. Zu diesem Zeitpunkt war das Internet in weiten Teilen noch ein von Militärs finanziertes akademisches Projekt. Das Web gab es noch nicht. Das geschlossene Btx-Netzwerk wurde damals als besonders sicher und auch für Banking-Anwendungen geeignet angepriesen. Dieses Image wollten die beiden Hacker in Frage stellen.

Mit einem nur 31 Zeilen langen Programm steuerten sie ein Relais an, das auf der Tastatur des Btx-Terminals immer wieder bestimmte Tasten drückte und eine kostenpflichtige Animation des CCC in dem Btx-System aufrief. 9,97 D-Mark verlangte der Club für die Anzeige. Zuvor hatten sich die beiden die Zugangskennung der Hamburger Sparkasse (Haspa) verschafft, so dass sie die Bezahl-Seiten des CCC auf Kosten der Bank ansteuern konnten.

„Wir haben das Ding also bei Steffen in der Hütte gestartet, ich bin dann nach Hause“, erinnerte sich Holland in einem Interview mit der Zeitschrift „c't“ im Jahr 1999. „Steffen hat dort geschlafen, und ich weiß, Steffen hat wunderbar geschlafen, weil das Relais immer „Klack-Klack, Klack-Klack“ machte, und er wusste: zweimal Klack-Klack heißt 9 Mark 97.“ In der Nacht machte es 13 510 Mal „Klack-klack“.

Zwei Tage nach dem Angriff auf das Haspa-Konto griff das „heute journal“ des ZDF den Coup auf. „Einbrecher müssen heute nicht mehr mit Schneidbrenner und Stemmeisen arbeiten. Sie haben es leichter, wenn sie ihren Heim-Computer benutzen“, berichtete ZDF-Moderator Hans Scheicher dem staunenden Publikum. Hackern sei es gelungen, die Hamburger Bank via Btx um rund 135 000 Mark zu erleichtern. Der Club verzichtete dann generös auf das Inkasso.

Die Meldung wurde schnell als virtueller Bank-Einbruch interpretiert, obwohl es eigentlich keiner war. Holland und Wernéry hatten ja kein Online-Banking-System gehackt. Ihnen war es lediglich gelungen, mit den Btx-Zugangsdaten der Haspa ihr eigenes bezahlpflichtiges Angebot eine Nacht lang häufig hintereinander abzurufen. Doch solche Zwischentöne spielten damals kaum eine Rolle. „1984 war das Orwell-Jahr“, erinnert sich Wernéry im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur an die Umstände. George Orwell hatte in seinem Roman einen totalitäreren Überwachungsstaat im Jahre 1984 beschrieben, in dem der Held vergeblich um den Schutz seiner Privatsphäre kämpft.

„Alle haben Ende 1984 darauf gewartet, dass noch etwas passiert“, sagt Wernéry. „Und viele Menschen haben dann ganz unterschiedliche Sachen auf uns projiziert: die Angst vor der Technik, die Sehnsucht nach der Rettung vor dem Big Brother.“

Die Aktivisten hatten aber auch eine Rechnung mit dem Lieblingsfeind Bundespost offen, der das Btx-System aufgebaut hatte. „Wir befanden uns im Krieg“, sagt Wernéry. Er erinnert daran, dass Technikfreunde sich damals noch strafbar gemacht haben, wenn sie ein Modem an das Telefonnetz anschlossen, das nicht von der Post stammte.

Wie der Hack genau abgelaufen ist, weiß außer Wernéry kaum jemand. Sein Freund Wau Holland starb im Sommer 2001 im Alter von 49 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Bis heute bleibt Wernéry bei der Version, die er am 19. November 1984 im Fernsehen gemeinsam mit Holland erzählt hatte: Beim Anlegen einer Btx-Seite habe man durch eine Art Speicherüberlauf Daten von anderen Anbietern einige Sekunden lang auf dem Bildschirm sehen können. So habe man auch die Zugangsdaten der Haspa erhalten.

Post-Manager Eric Danke, der in den 80er Jahren als Projektleiter das Btx-System aufgebaut hatte und später Technik-Vorstand bei T-Online wurde, äußerte mehrfach die These, Holland und Wernéry hätten das Btx-System nie gehackt. Ihnen sei es lediglich gelungen, bei einer Informationsveranstaltung der Hamburger Sparkasse die Eingabe des Passworts auszuspähen. Zum 30. Jahrestag des Btx-Hacks treffen Danke und Wernéry bei einer Veranstaltung der Wau-Holland-Stiftung in Berlin zusammen und können ihre Argumente noch einmal vortragen.

In der Szene kursieren auch die Versionen, der Sohn eines hochrangigen Postbeamten habe den Hackern das Passwort verkauft oder aus Überzeugung kostenlos übergeben. Egal, welche Variante nun stimmt: Im Scheinwerferlicht des vermeintlichen „Online-Bankraubs“ wurde der Chaos Computer Club auch international zu einer Größe.

Der Verein, der 1981 in den Räumen der „tageszeitung“ (taz) am großen Tisch der Kommune 1 gegründet wurde, sieht in dem Coup vom November 1984 quasi eine „zweite Geburtsstunde“. Wernéry und Holland „zeigten die Risiken des Systems für die Teilnehmer auf und schrieben durch die unkonventionelle Vorführung Geschichte“, heißt es in der Einladung zu der Podiumsdiskussion zum Btx-Hack.

CCC-Urgestein Wernéry, der seit Jahren Ehrenmitglied der Vereinigung ist, steht inzwischen nur noch selten in der ersten Reihe. Bei spektakulären Aktionen der Hacker wie der Enthüllung des Staatstrojaners „O'zapft is“ stellen sich die Berliner Informatikerin Constanze Kurz und Club-Sprecher Frank Rieger den Fragen der Öffentlichkeit. Die beiden haben inzwischen auch etliche populäre Bücher zum Thema Datenschutz veröffentlicht. Auf Wernérys Visitenkarte steht dagegen „Cyberveteran“.

Dabei kann der Hamburger sich auch heute mächtig darüber aufregen, wie sorglos deutsche Politiker und auch die Bürger im Schatten der NSA-Affäre mit dem Schutz ihrer Daten umgehen. „Das geht heute eigentlich ans Eingemachte und die Leute kapieren es einfach nicht.“ Für sich persönlich hat Wernéry schon lange Konsequenzen gezogen. „Ich achte seit 1988 sehr auf Datenhygiene und hinterlasse kaum Spuren im Netz“, sagt er. Im März 1988 war Wernéry auf der Reise zu einem Datenschutzkongress in Paris festgenommen worden, weil der Konzern Philips ihn nach einer Aktion von Hackern im Nasa-Netzwerk SPANet wegen angeblicher Industriespionage angeklagt sehen wollte. Nach einer Woche in Untersuchungshaft in Frankreich konnte Wernéry dann wieder nach Deutschland zurückkehren. Und die Datenstille hält bis heute an: „Manche nennen mich schon „Offliner“, weil ich bei Facebook und Twitter nicht mitmache.“

Seine alte Btx-Teilnehmerkennung hat Wernéry als E-Mail-Adresse über die Zeit hinweg gerettet. Erst vor kurzem wurde er durch eine technische Umstellung bei der Telekom gezwungen, sein Passwort zu ändern. Zum ersten Mal seit fast 30 Jahren. „So viel zu den Sicherheitsstandards in öffentlichen Netzen.“